Ich schreib dir morgen wieder
Bücher zu besitzen, aber dass man Bücher zu den Menschen karrte und sie ihnen praktisch aufdrängte – das war ja wohl das Letzte!
Mich verletzte die Reaktion meiner Freundinnen ziemlich, obwohl ich im ersten Moment selbst nicht recht verstand, wieso es mir so viel ausmachte. Natürlich versteckte ich meine Gefühle, so gut es ging, aber ich hielt es kaum aus, dass Zoey und Laura das Erste, was mich seit Dads Tod aus meiner Apathie gerissen und von meinem Kummer abgelenkt hatte, so madig machten. Ich denke, in diesem Moment begann ich, eine Schutzmauer zwischen mir und den beiden aufzubauen, und wahrscheinlich merkten sie das auch. Zoey sah mich aus zusammengekniffenen Augen mit dem Sezierblick an, den sie immer bekommt, wenn jemand ein bisschen anders ist, als man ihrer Meinung nach zu sein hat, denn das war für sie das größte Verbrechen auf der ganzen Welt. Meine beiden Freundinnen kapierten nicht, warum ich auf einmal anders war, sie kamen nicht auf die Idee, dass das, was ich gerade durchmachte, mich nicht nur für ein paar Wochen oberflächlich verändert, sondern den Kern meines Wesens getroffen hatte. Für sie war die einzig mögliche Erklärung, dass das Landleben einen unerwünschten Effekt auf mich hatte. Aber ich war verletzt. Wie eine zertretene Blume, die zwar nicht tot ist, aber keine andere Wahl mehr hat, als in eine andere Richtung zu wachsen.
Irgendwann hatte Zoey dann keine Lust mehr, über Dinge zu sprechen, von denen sie keine Ahnung hatte – und die ihr vielleicht auch Angst machten –, und rief Fiachrá, Garóid und den dritten Musketier Colm an, den ich immer Cabáiste nenne, was auf Irisch »Kohl« bedeutet. Ich hatte noch nie ein Wort mit ihm gewechselt, aber da Zoey sich Garóid schnappte und Fiachrá sich ausschließlich Laura widmete, saßen Cabáiste und ich nebeneinander und schauten aufs Meer hinaus, während die anderen vier im Sand herumrollten und schmatzende Knutschgeräusche von sich gaben. Hin und wieder kippte Cabáiste einen Schluck Wodka, und eigentlich erwartete ich jeden Moment, dass er zudringlich werden würde. Jedes Mal, wenn er die Flasche ansetzte, machte ich mich auf einen nassen, glitschigen Kuss gefasst, der nach Wodka schmeckte und ein bisschen brannte und mir einen Brechreiz verursachte.
Aber nichts dergleichen geschah.
»Tut mir leid wegen deinem Dad«, sagte Cabáiste stattdessen leise.
Die Bemerkung traf mich völlig unerwartet, und auf einmal wurde ich so von meinen Gefühlen überwältigt, dass ich kein Wort mehr herausbrachte. Ich konnte ihm nicht antworten, ja, ich konnte ihn nicht mal ansehen. Verzweifelt starrte ich in die entgegengesetzte Richtung und ließ mir vom Wind die Haare ins Gesicht wehen, damit er die Tränen nicht sehen konnte, die mir in Strömen über die Wangen liefen.
Das Fazit meines Ausflugs war also, dass meine Freundinnen auf meinen Gefühlen herumgetrampelt waren. Aber etwas anderes bereitete mir noch viel größeres Kopfzerbrechen: Wie würde es jetzt weitergehen mit mir und meinem Leben?
Kapitel 8
Der geheime Garten
Wenn ich länger als gewöhnlich weg war, zum Beispiel zu einer Klassenfahrt ins Ausland oder mit Freundinnen auf Einkaufstour in London, nahm ich immer irgendetwas mit, was mich an zu Hause erinnerte – irgendeine Kleinigkeit. Als wir einmal an Weihnachten bei einem Büfett in einem Hotel waren, klaute mein Dad einen kleinen Plastikpinguin, der eine Nachspeise verzierte, und versteckte ihn in meinem Dessert. Natürlich sollte das ein netter kleiner Scherz sein, aber ich hatte einen dieser Tage, an denen ich nichts, was er sagte oder tat, auch nur ansatzweise lustig fand, und so ließ ich den Pinguin kommentarlos in meiner Tasche verschwinden. Als ich einige Zeit später wieder irgendwo unterwegs war, stieß ich in meiner Tasche zufällig auf den Pinguin und musste lachen. Zwei Monate zu spät und ohne dass Dad dabei war, fand ich seinen Scherz plötzlich lustig. Auf dieser Reise landete der Pinguin dann in meinem Waschbeutel, und von da an begleitete er mich überallhin.
Bestimmt kennt jeder das Phänomen, dass man etwas anschaut, und augenblicklich taucht irgendeine Erinnerung auf. Ich bin eigentlich kein sentimentaler Mensch, ich hatte nie eine sehr enge Verbindung mit etwas oder jemandem zu Hause. Nicht wie manche Leute, denen schon eine Staubfluse oder etwas ähnlich Banales reicht, um Tränen in die Augen zu kriegen, weil es ihnen vage etwas ins Gedächtnis ruft, was jemand früher mal gesagt
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