Ich schreib dir morgen wieder
mag es auch, sehr sogar. Es ist ein freches, sehr hübsches Buch, aber offensichtlich können wir es momentan nicht lesen.«
Redeten wir eigentlich über das Gleiche?
»Das bedeutet dann ja wohl, dass wir es erst anschauen können, wenn wir den Schlüssel finden.«
Ich merkte, wie ich rot wurde.
»Tamara!« Auf einmal hörte ich jemanden meinen Namen rufen. Gellend und ziemlich verzweifelt. Widerwillig unterbrachen wir unseren Blickkontakt, und ich rannte zur Tür des Busses. Es war Rosaleen. Mit verzerrtem Gesicht und wilden Augen kam sie über die Straße auf mich zugerannt. Zum Glück sah ich Arthur ganz gelassen auf dem Gehweg neben seinem Auto stehen, das beruhigte mich etwas. Aber warum war Rosaleen denn so aufgeregt?
»Tamara«, stieß sie atemlos hervor, während sie hektisch zwischen Marcus und mir hin und her blickte und mich mal wieder an ein Erdmännchen auf Alarmstufe rot erinnerte. »Komm zurück zu uns, Kind. Komm zurück«, stammelte sie mit bebender Stimme.
»Ich bin ja schon unterwegs«, erwiderte ich stirnrunzelnd. »Aber ich war doch höchstens eine Stunde weg.«
Ein bisschen konfus starrte Rosaleen mich an und sah dann zu Marcus, als hoffte sie, dass er ihr gleich alles erklären würde.
»Was ist denn los, Rosaleen? Ist mit Mum alles in Ordnung?«, erkundigte ich mich.
Sie schwieg, aber ihr Mund öffnete und schloss sich, als würde sie nach Worten ringen.
»Ist meine Mum okay?«, fragte ich wieder, und plötzlich bekam ich Panik.
»Ja«, antwortete Rosaleen endlich. »Natürlich ist sie okay.« Dabei schaute sie immer noch etwas verwirrt aus der Wäsche, schien sich aber allmählich etwas zu entspannen.
»Was ist denn los mit dir?«
»Ich dachte, du wärst …« Sie ließ den Satz unvollendet und sah sich um, als würde ihr jetzt erst richtig klar, wo sie war. Dann richtete sie sich auf, fuhr sich mit der Hand über die Haare und zupfte ihr Kleid zurecht, das von der Autofahrt ganz zerknittert war. Etwas gelassener meinte sie dann: »Kommst du jetzt wieder mit zurück ins Haus?«
»Na klar«, antwortete ich. »Ich hatte Mum übrigens Bescheid gesagt, wo ich bin.«
»Ja, aber deine Mutter …«
»Was ist mit meiner Mutter?« Meine Stimme wurde hart. Wenn mit meiner Mutter alles in Ordnung war, hätte es doch ausreichend sein müssen, dass ich sie informiert hatte.
Auf einmal spürte ich Marcus’ Hand auf meinem Rücken, und ich dachte an Mexiko und an all die anderen Orte, zu denen wir noch reisen konnten.
»Geh einfach mit«, sagte er leise. »Ich muss jetzt sowieso weiter. Aber das hier kannst du gerne behalten.« Er nickte zu dem Buch, das ich immer noch im Arm hielt.
»Danke. Sehen wir uns wieder?«
Er rollte mit den Augen. »Na klar, Goodwin. Aber jetzt geh.«
Als ich über die Straße ging und hinten in den Landrover kletterte, fielen mir drei Männer auf, die vor dem Pub standen, rauchten und zu uns herüberglotzten. Das war an sich nichts Ungewöhnliches, aber die Art, wie sie es taten, war irgendwie sonderbar. Arthur nickte ihnen grüßend zu, aber Rosaleen hielt den Kopf gesenkt und die Augen zu Boden gerichtet. Ich behielt die Männer im Auge, so lange es ging, in der Hoffnung, einen Hinweis darauf zu bekommen, was ihr Problem war. Waren sie nur neugierig, weil ich hier neu war? Aber das konnte nicht sein, denn die Blicke, die uns verfolgten, galten gar nicht mir, sondern ausschließlich Arthur und Rosaleen. Auf der Heimfahrt im Auto sprach keiner ein Wort.
Als wir wieder im Torhäuschen waren, schaute ich als Erstes nach meiner Mutter, obwohl Rosaleen es mir wieder mal zu verbieten versuchte. Mum saß immer noch im Schaukelstuhl, ohne zu schaukeln, und stierte hinaus in den Garten. Ich setzte mich eine Weile zu ihr, dann ging ich wieder, hinunter ins Wohnzimmer, zu dem Sessel, in dem ich es mir bequem gemacht hatte, bevor Marcus gekommen war, und wollte mir das Fotoalbum vornehmen. Aber es war nicht mehr da. Mein erster Gedanke war, dass Rosaleen es aufgeräumt hatte. Doch so intensiv ich das Bücherregal auch durchsuchte – das Album blieb verschwunden.
Auf einmal hörte ich ein Geräusch von der Tür her und fuhr herum. Direkt hinter mir stand Rosaleen.
»Rosaleen!«, rief ich und presste die Hand aufs Herz. »Du hast mich halb zu Tode erschreckt.«
»Was hast du denn da gerade gemacht?«, fragte sie, kniff mit den Fingern nervös eine Falte in ihre Schürze und strich sie wieder glatt.
»Ich hab das Fotoalbum gesucht, das ich vorhin rausgelegt
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