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Ich schreib dir morgen wieder

Titel: Ich schreib dir morgen wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecilia Ahern
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ich hörte Schritte hinter und in den Mauern, aber nichts kam an die Oberfläche, nichts zeigte sich. Alles war nur ein Produkt meiner Phantasie. Vielleicht hatte ich mir die vollgeschriebenen Seiten in dem Tagebuch auch nur eingebildet.
    Also holte ich ein paarmal tief Luft und hob das Tagebuch auf. Das Leder war von den Steinen zerkratzt und staubig, und ich wischte es an meiner Shorts ab. Beim Herunterfallen war die erste Seite zerrissen, aber dass sie beschrieben war, hatte ich mir nicht eingebildet. Alles war noch da – auf der ersten Seite, auf der zweiten –, und während ich hektisch weiterblätterte, konnte ich zweifelsfrei meine Handschrift identifizieren.
    Aber das war doch nicht möglich! Ich verglich das Datum oben auf der Seite mit dem Datum auf meiner Uhr. Es war das Datum von morgen, Samstag. Heute war Freitag. Bestimmt ging meine Uhr falsch. Unwillkürlich musste ich daran denken, wie Rosaleen das Tagebuch heute Morgen angestarrt hatte. Hatte
sie
womöglich etwas hineingeschrieben? Nein, das konnte nicht sein. Das Buch hatte gut versteckt unter meinem Bett gelegen. Mit schwindligem Kopf setzte ich mich wieder auf die Treppe und las den Eintrag, aber meine Augen hüpften so aufgeregt über die Worte, dass ich ein paarmal von vorn anfangen musste.
    Samstag, 4. Juli
    Liebes Tagebuch,
    so fängt man doch immer an, richtig? Ich habe noch nie Tagebuch geschrieben, und ich komme mir unglaublich blöd dabei vor. Na gut. Liebes Tagebuch, ich hasse mein Leben. Kurz gesagt ist es Folgendes: Mein Dad hat sich umgebracht, wir haben unser Haus und überhaupt alles verloren, ich mein ganzes Leben, Mum ihren Verstand, und jetzt wohnen wir bei zwei Soziopathen im hinterletzten Kaff. Vor ein paar Tagen habe ich den Nachmittag mit einem echt süßen Typen namens Marcus verbracht, der Vizepräsident der Zentralen Trottelvereinigung GmbH ist, nämlich einer mobilen Bibliothek. Vor zwei Tagen bin ich einer Nonne begegnet, die Bienen züchtet und Schlösser aufbricht, und gestern habe ich den Morgen in einer Ruine …
    »in einer Ruine« war durchgestrichen, und es ging stattdessen weiter mit:
    … in einem Schloss verbracht, auf einer Art Himmelsleiter, die so verlockend aussah, dass ich am liebsten hochgeklettert und auf eine Wolke gesprungen wäre, um mich von hier wegtragen zu lassen. Jetzt ist es Nacht, und ich sitze in meinem Zimmer und schreibe in dieses bescheuerte Tagebuch, wie Schwester Ignatius es mir so dringend ans Herz gelegt hat. Ja, sie ist eine Nonne und kein Transvestit, wie ich zunächst dachte.
    Ich seufzte und blickte auf. Wie war das möglich? Suchend sah ich mich um. Sollte ich zum Torhaus laufen und Mum davon erzählen? Oder vielleicht Zoey und Laura anrufen? Wer in aller Welt würde mir glauben? Und selbst wenn jemand mir glaubte, was könnte er tun, um mir zu helfen?
    Im Schloss war es so still, dass die Wolken, rund und weiß wie Engelchen, mit mindestens hundert Stundenkilometern über den Himmel zu sausen schienen. Hin und wieder raschelte es unter einer Pflanze, Löwenzahnschirmchen trieben durch die Luft, lockten mich, sie zu fangen, näherten sich und flitzten wieder davon, wenn der Wind sie ergriff. Ich atmete tief ein, hob mein Gesicht der warmen Sonne entgegen – warme Sonne, endgültig tot –, schloss die Augen und atmete wieder aus. Ich war so gerne hier im Schloss. Schließlich öffnete ich die Augen wieder und las weiter. Sofort sträubten sich mir die Nackenhaare.
    Ich bin so gerne hier im Schloss. Eigentlich müsste ich es hässlich finden, aber so ist es nicht, ganz im Gegenteil. Wie bei Jessie Stevens vom Rugby-Team. Mit seiner gebrochenen Nase und den Blumenkohlohren müsste er eigentlich hässlich sein, ist er aber nicht. Ich hätte mir den Spaß mit dem Schreiben schon früher erlauben sollen. Bei Zoey bin ich nicht wirklich zum Erzählen gekommen, weil sie und Laura so endlos über die Unten-ohne-Geschichte gelabert haben. Na ja.
    Mum ist immer noch nicht aus ihrem Zimmer gekommen. Obwohl ich mich danach sehnte, mich irgendwo zusammenzurollen und zu sterben – als ich gestern so klatschnass geworden bin, hab ich mich erkältet –, beschloss ich heute Morgen, im Garten neben dem Baum zu frühstücken, weil ich wusste, dass sie mich dann sehen würde. Ich hab die blaue Kaschmirdecke aus meinem Zimmer mitgenommen, sie auf dem Rasen ausgerollt und ein bisschen Obst geschnitten. Es schmeckte wie Pappe. Ich hatte überhaupt keinen Appetit, aber ich hab meine ganze

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