Ich schreib dir morgen wieder
Nüchternheit eine Breitseite verpasst hat – der endgültige Tod –, fange ich an, meinen Blick nach außen zu richten. Viele Wissenschaftler glauben, dass es am besten ist, nur nach außen zu schauen, aber das stimmt nicht. Sie glauben, dass emotionale Menschen nur nach innen schauen, aber das stimmt auch nicht. Ich denke, die besten Wissenschaftler sind die, die es fertigbringen, beide Blickrichtungen einzubeziehen.
Trotz allem, was ich gesagt habe, weiß ich, dass Dad in meinen Träumen nicht wirklich bei mir ist. Er überbringt mir keine geheime Botschaft, es gibt keine geheimen Umarmungen. Es sind einfach Träume, die keine Bedeutung haben und aus denen ich auch keine Ratschläge entnehmen kann. Es sind lediglich Spiegelungen meiner Tageserlebnisse, zerstückelt wie ein in die Luft geworfenes Puzzle, dessen Einzelteile ohne jede Ordnung, sinn- und bedeutungslos in meinem Kopf herumhängen. Als ich letzte Nacht von Dad geträumt habe, hat er sich in meinen Englischlehrer verwandelt, dann war mein Englischlehrer plötzlich eine Frau, wir hatten eine Freistunde, und ich musste meinen Mitschülern etwas vorsingen, aber als ich den Mund aufmachte, kam kein Ton heraus, und dann war die Schule auf einmal in Amerika, aber niemand sprach Englisch, und ich konnte nichts verstehen, und dann hab ich auf einem Boot gewohnt. Verrückt. Ich bin davon aufgewacht, dass Rosaleen unten in der Küche mit einem Riesenkrach einen Topf hat fallen lassen.
Vielleicht hat Schwester Ignatius recht. Vielleicht hilft mir das Tagebuch. Schwester Ignatius ist eine merkwürdige Frau. Seit ich sie vor zwei Tagen kennengelernt habe, muss ich dauernd an sie denken.
Aber das war gestern gewesen. Ich hatte Schwester Ignatius erst gestern kennengelernt.
Ich mag sie. Sie ist das Erste, was ich hier mag – na gut, eigentlich das Zweite, denn das Schloss mag ich ja auch. Als ich gestern dort war, fing es an zu schütten, aber als ich gesehen habe, wie Rosaleen mit einer Regenjacke in der Hand die Straße heruntergerannt kam, bin ich schnell in die andere Richtung gelaufen, ich konnte einfach nicht anders. Obwohl es mir jetzt leidtut. Ich möchte nicht, dass sie erfährt, wo ich war, und sich in ihren Vermutungen bestätigt fühlen kann. Ich möchte überhaupt nicht, dass sie irgendwas über mich weiß. Aber ich hatte keine Ahnung, wo ich eigentlich hinrannte. Es goss in Strömen, und ich war im Nu nass bis auf die Haut, aber es war, als würde ich per Autopilot funktionieren, als hätte sich mein Kopf einfach abgeschaltet. Ich rannte und rannte, völlig ziellos, und schließlich bin ich, ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, im Mauergarten gelandet. Schwester Ignatius stand im Gewächshaus und hat darauf gewartet, dass der Regen aufhört. Sie hatte sogar einen zusätzlichen Schutzanzug für mich da, weil sie aus irgendeinem Grund fest damit gerechnet hat, dass ich kommen würde.
Da ich sie tags zuvor bei ihrer Arbeit unterbrochen habe, ist sie nicht mehr dazu gekommen, nach den Bienenstöcken zu sehen. Schließlich hatte sie ja auch noch andere Verpflichtungen – Beten und all so was. Deshalb hat sie mir die Bienenstöcke erst dieses Mal von innen gezeigt und mir erklärt, welches die Königin ist – die hat sie auf dem Rücken farbig markiert –, welches die Drohnen, die Arbeitsbienen und auch den Zweck der Beräucherung. Mir wurde schon vom Anschauen ganz schwindelig, und dann ist mir etwas höchst Merkwürdiges passiert. Schwester Ignatius hat es, glaube ich, gar nicht gemerkt, aber ich musste mich mit der Hand an der Wand abstützen, um nicht umzufallen. Während ich noch so dastand und gegen den Schwindel ankämpfte, hat sie mich eingeladen, ihr nächste Woche beim Schleudern des Honigs zu helfen, den sie dann in Gläser abfüllt und auf dem Markt verkauft. Aber ich musste mich so bemühen, einigermaßen regelmäßig zu atmen, dass ich einfach nein gesagt habe. Ich wollte nur weg. Jetzt wünsche ich mir, ich hätte ihr gesagt, dass ich mich nicht wohlfühlte, denn sie schien richtig enttäuscht zu sein. Das tut mir total leid. Außerdem muss ich unbedingt mit auf den Markt, damit ich mal unter Menschen komme. Wenn ich weiter jeden Tag die gleichen Gesichter sehe, werde ich noch irgendwann verrückt. Und ich möchte wissen, ob Rosaleen und Arthur wieder von allen angestarrt werden wie neulich vor dem Pub. Es muss irgendwas passiert sein, sonst würde man sie nicht so anglotzen. Vielleicht haben die beiden Partnertauschpartys
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