Ich schreib dir morgen wieder
Energie eingesetzt, um Mum herauszulocken. Gleichzeitig hab ich mich natürlich angestrengt, ganz locker und entspannt zu wirken, weil es so doch bestimmt am ehesten funktioniert – aber sie ist trotzdem nicht gekommen. Ich dachte, wenn sie ein bisschen frische Luft kriegt, wenn sie sich hier umschaut, wenn sie das Schloss entdeckt, dann muss sie doch auch sehen, was ich sehe, und das reißt sie vielleicht aus ihrer Trance. Es kann doch nicht in ihrem Sinn sein, dass das Leben an ihr vorbeigeht, während sie da oben in diesem Zimmer hockt. Erst wenn man rauskommt und merkt, dass das Leben weitergeht, begreift man, dass man sich von der Strömung tragen lassen muss.
Ich weiß nicht, warum Rosaleen und Arthur sich nicht mehr Mühe geben, Mum zu helfen. Es nutzt doch nichts, wenn sie zum Frühstück, Mittagessen und Abendessen Portionen vorgesetzt kriegt, von denen ein Elefant satt werden könnte. Auch die Stille ist kein Allheilmittel. Ich muss Rosaleen noch einmal darauf ansprechen. Oder Arthur. Schließlich ist er Mums Bruder. So weit ich sehe, hat er, abgesehen von der bizarren Stirnberührung zur Begrüßung, kein Wort mit ihr geredet. Wie merkwürdig ist das denn?
Nach dem Regen gestern …
Okay, an dieser Stelle erkannte ich, dass alles Quatsch sein musste, denn der Tag war warm und wunderschön. Kein Regentröpfchen. Eine Augenbraue spöttisch hochgezogen, las ich weiter, in der sicheren Annahme, dass ich irgendwie verarscht werden sollte, und machte mich darauf gefasst, dass hinter einer bröckelnden Säule plötzlich Zoey und Ashton Kutcher hervorgehüpft kamen.
… hab ich mir eine fiese Erkältung eingefangen. Rosaleen hat mich praktisch in Watte gepackt, mich vors Kaminfeuer gesetzt und mit Hühnersuppe zwangsernährt. Den halben Tag hab ich damit verschwendet, neben diesem grässlichen Feuer zu sitzen, zu schwitzen und sie davon zu überzeugen, dass ich nicht im Sterben liege. Sie hat mich gezwungen, den Kopf unter ein Handtuch zu stecken und über eine Schüssel mit kochend heißem Wasser und Wick VapoRub zu halten, um meine Nase freizubekommen, und während ich dort hing und schniefte, hätte ich wetten können, dass die Türklingel ging. Aber Rosaleen schwört Stein und Bein, dass ich mich geirrt habe. Es wäre besser gewesen, wenn ich Schwester Ignatius’ Angebot angenommen und mich bei ihr zu Hause richtig abgetrocknet hätte. Ich weiß auch nicht, warum mir ein Haus voller Nonnen so unheimlich war.
Morgen plane ich, eine weitere Herzattackenmahlzeit zu vermeiden und mir ein ruhiges Plätzchen zu suchen, wo ich ungestört schreiben kann. Wahrscheinlich lege ich mich im Bikini in die Sonne. Dann haben die Fasane wenigstens was zu glotzen. Möglicherweise wäre das gar nicht so schlecht. Wenn man die Augen schließt, kann man sich fast überall hinbeamen, wohin man möchte. Dann liege ich am See und bilde mir ein, dass ich am Pool in Marbella bin und dass die Geräusche um mich herum von Mum kommen, die mit der Hand im Wasser rumplanscht, und nicht von den Schwänen, die ihr Gefieder ausschütteln. Mum hat sich nie wie die anderen in den Liegestuhl gelegt, sondern immer an den Rand des Pools, in die Nähe der Filter, und mit der flachen Hand aufs Wasser geklatscht. Das klang, als platsche ein kleines Kind barfuß über die Fliesen. Bis heute weiß ich nicht, ob sie das gemacht hat, um sich abzukühlen oder weil ihr das Geräusch so gut gefiel. Jedenfalls habe ich es auch gern gehört, auch wenn ich ihr immer gesagt habe, sie soll damit aufhören. Wahrscheinlich weil ich das Schweigen brechen und sie dazu bringen wollte, die Augen aufzumachen und mich anzuschauen.
Wer konnte das alles gewusst haben? Doch nur Mum.
Vielleicht sollte ich mich mitten auf der Spur von Arthurs Rasenmäher im Gras sonnen und hoffen, dass er mich überfährt. Wenn er mich nicht umbringt, kann ich mir auf diese Weise vielleicht wenigstens eine Ganzkörperenthaarung sparen.
Eigentlich ist Arthur gar nicht so übel. Er sagt nicht viel. Oft reagiert er kaum auf das, was um ihn herum vorgeht, aber ich habe bei ihm ein gutes Gefühl. Meistens jedenfalls. Rosaleen ist eigentlich auch nicht so schlimm. Ich muss nur lernen, sie besser zu verstehen. Als ich ihr heute beim Essen – Shepherd’s Pie, lecker! – erzählt habe, dass ich Schwester Ignatius kenne, hat sie so merkwürdig reagiert. Sie meinte, Schwester Ignatius wäre morgens vorbeigekommen und hätte nichts von unserer Begegnung erwähnt. Wahrscheinlich war ich
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