Ich schreib dir morgen wieder
mich warten würde?
»Manchmal macht unser Kopf seltsame Dinge, Tamara. Wenn wir etwas suchen, geht er plötzlich ganz eigene Wege. Wir können weiter nichts tun, als ihm zu folgen.«
»Aber ich suche doch gar nichts.«
»Ach ja? Oh, es hat aufgehört zu regnen. Wollen wir zum Haus, damit du dich abtrocknen und was Heißes essen und trinken kannst? Ich habe gestern Suppe gekocht, mit Gemüse aus dem eigenen Garten. Die müsste jetzt gerade richtig sein – vorausgesetzt, Schwester Mary hat nicht alles mit dem Strohhalm weggetrunken. Sie hat nämlich gestern aus Versehen ihr Gebiss runtergeschmissen, und Schwester Peter Regina ist draufgetreten. Seither ernährt sie sich durch einen Strohhalm.« Hastig hielt sie sich die Hand vor den Mund. »Oh, entschuldige, dass ich lache.«
Ich wollte schon protestieren, aber da fiel mir ein, dass ich mich im Tagebuch über eine Erkältung beklagt hatte. Vielleicht konnte ich die Zukunft ja verändern. Also folgte ich Schwester Ignatius aus dem Garten und durch den Wald zu ihrem Haus.
Das Haus passte gut zu Schwester Ignatius. Nichts war übertüncht oder geschönt, alles innen ebenso alt wie außen. Durch die Hintertür traten wir in eine kleine Diele, die vollgestopft war mit Gummistiefeln, Regenjacken, Schirmen und Sonnenhüten – Ausrüstung für jede Art von Wetter. Über unregelmäßige, teilweise rissige Steinplatten gelangte man in die Küche, die aus den siebziger Jahren zu stammen schien. Schlichte Landhausschränke, Linoleumboden, Arbeitsplatten aus Kunststoff, alles gehalten in Farben, die sich bemühten, die Natur ins Haus zu bringen – worauf man in dieser Zeit ja größten Wert legte –, und sicherlich Namen trugen wie »Avocado« oder »Siena gebrannt«. Außerdem gab es einen großen Tisch aus Kiefernholz, flankiert von zwei langen Bänken, auf denen eine große Familie Platz gefunden hätte. Aus einem Nebenraum plärrte das Radio. Ein brauner Teppich mit Spiralmuster lenkte den Blick unwillkürlich auf einen unförmigen, altmodischen Fernseher. Darauf lag ein Häkeldeckchen, das über den Bildschirm herunterbaumelte, und auf dem Deckchen stand eine Marienstatue. An der Wand darüber hing ein schlichtes Holzkreuz.
Das Haus roch alt. Muffige Feuchtigkeit vermischt mit unzähligen Abendessensgerüchen und fettigen Kochdünsten. Irgendwo dazwischen identifizierte ich auch Schwester Ignatius’ Geruch, ein sauberer Talkumpuderduft, wie von einem frisch gebadeten Baby. Auch hier hatte man, genau wie bei Rosaleen und Arthur, das Gefühl, dass schon Generationen von Menschen hier gelebt hatten, dass Kinder hier aufgewachsen und durch die Korridore getobt waren, dass gelärmt, Dinge kaputtgemacht und gepflanzt worden waren, dass man sich verliebt und womöglich auch wieder getrennt hatte. Statt dass das Haus seinen Bewohnern gehörte, gehörte dem Haus jetzt ein Stück von ihnen allen. In unserem Haus hatte es nie so ein Gefühl gegeben. Klar, ich hatte unser Haus geliebt, aber jedes bisschen Leben wurde umgehend von den Putzfrauen weggewischt, die Tag für Tag mit scharfem Putzmittel den Duft der Vergangenheit vertrieben. Alle drei Jahre wurde ein Zimmer in neuem Stil renoviert, das alte Mobiliar rausgeschmissen, neues hereingeschleppt und zum neuen Sofa ein neues Gemälde ausgesucht. Kein Mischmasch von Dingen, die sich über viele Jahre angesammelt hatten. Kein in irgendeine Ecke gestopfter sentimentaler Kram, der Geheimnisse ausdünstete. Nein, alles war neu und teuer und ohne jede individuelle Aura. So war es jedenfalls gewesen.
In ihrem Imkeranzug eilte Schwester Ignatius davon wie ein Kleinkind mit einer voluminösen Windel. Ich zog meine Jacke aus und legte sie auf die Heizung. Mein Top war durchsichtig von der Nässe und klebte am Körper, meine Flipflops schmatzten und quietschten bei jedem Schritt, aber ich wagte nicht, sie auszuziehen, weil ich nicht wollte, dass Schmutz von irgendeiner uralten Familie an meinen Fußsohlen kleben blieb. Auf diesen Böden gab es für meinen Geschmack viel zu viel, was von draußen hereingeschleppt worden war.
Schwester Ignatius kam mit einem Handtuch und einem trockenen T-Shirt zurück.
»Tut mir leid, das war alles, was ich auftreiben konnte. Normalerweise brauchen wir keine Sachen für siebzehnjährige Mädchen.«
»Ich bin sechzehn«, korrigierte ich sie, während ich das pinkfarbene Frauen-Marathon-T-Shirt inspizierte.
»Zwischen 1961 und 1971 bin ich jedes Jahr einen Marathon gelaufen«, erklärte
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