Ich schreib dir morgen wieder
den Bienenkörben standen. »Erste Frage, ganz wichtig – wahrscheinlich hab ich sie dir sogar schon gestellt: Bist du allergisch gegen Bienen?«
»Keine Ahnung.«
»Bist du schon mal von einer Biene gestochen worden?«
»Nein.«
»Hm. Okay. Nun ja, trotz aller Schutzmaßnahmen kann es nämlich passieren, dass man gestochen wird. Ach, schau mich nicht so an, Tamara. Na gut, dann geh heim zu Rosaleen. Bestimmt hat sie schon ein paar leckere Rinderhaxen zubereitet, als Snack für zwischendurch, während du aufs Abendessen wartest.«
Ich schwieg.
»An einem Bienenstich stirbt man nicht«, fuhr Schwester Ignatius fort. »Es sei denn, man ist allergisch. Aber das Risiko bin ich bereit einzugehen. Da bin ich ganz mutig.« Ihre Augen funkelten schelmisch. »Erst schwillt der Stich ein bisschen an, dann fängt er irgendwann an zu jucken.«
»Wie ein Mückenstich.«
»Genau. Also, das hier ist ein Rauchapparat. Ich blase Rauch in den Korb, bevor wir ihn inspizieren.«
Aus der Öffnung des Gefäßes begann dünner Qualm aufzusteigen. Ich fühlte mich ohnehin schon etwas seltsam, denn alles, was ich früh am Morgen im Tagebuch gelesen hatte, wurde nun wahr und spielte sich vor meinen Augen ab wie nach einem Drehbuch. Schwester Ignatius hielt das Räuchergefäß unter den Bienenstock.
»Wenn ein Stock bedroht wird, scheiden die Wächterbienen eine flüchtige Pheromonsubstanz namens Isopentylacetat aus, bekannt auch als Alarmduft. Das versetzt vor allem die Bienen mittleren Alters, die das meiste Gift besitzen, in Alarmbereitschaft und motiviert sie dazu, den Stock zu verteidigen und den Eindringling anzugreifen. Doch wenn zuerst Rauch reingeblasen wird, fressen sich die Wächterbienen instinktiv mit Honig voll – ein Überlebensinstinkt für den Fall, dass sie den Stock verlassen und anderswo neu aufbauen müssen. Dieses instinktive Fressen besänftigt die Bienen.«
Ich sah zu, wie der Rauch in den Bienenstock waberte. Dann aber stellte ich mir plötzlich die Panik der Tierchen vor, und mir wurde ganz schwindlig. Unwillkürlich suchte ich Halt an der Mauer.
»Nächste Woche will ich den Honig schleudern. Wenn du mir helfen möchtest, kannst du gerne wieder den Anzug benutzen. Es wäre schön, wenn du mitmachst. Eigentlich bin ich gern allein, aber hin und wieder mag ich auch ein bisschen Gesellschaft.«
Mir schwirrte der Kopf, aber ich konnte einfach nicht aufhören, an den Rauch im Bienenstock zu denken, an die Bienen, die sich hektisch mit Honig vollstopften, ihre nackte Panik. Am liebsten hätte ich Schwester Ignatius angeschnauzt und ihr befohlen, den Mund zu halten, weil ich keinerlei Interesse daran hatte, mit ihr den Honig aus dem Stock zu holen. Aber an ihrem Ton erkannte ich, wie sehr sie sich darüber freute, beim Honigschleudern nicht allein zu sein, und ich erinnerte mich daran, dass ich mir in dem Tagebuch gewünscht hatte, ich könnte meine spontane Ablehnung zurücknehmen. Also biss ich mir auf die Lippen und nickte stumm. Aber ich fühlte mich flau. Dieser ganze Rauch!
»Jedenfalls ist es nett, jemanden bei sich zu haben, der so tut, als würde es ihm gefallen. Ich bin alt, ich nehme die meisten Dinge nicht mehr so wichtig. Aber es ist toll, dass du bereit bist, mir zu helfen. Ich glaube, Mittwoch wäre ein guter Tag zum Honigschleudern. Ich werde rechtzeitig den Wetterbericht hören und mich noch mal vergewissern. Schließlich möchte ich ja nicht, dass wir so nass werden wie heute …« In diesem Stil erzählte sie weiter, und ich hörte ihr gar nicht mehr richtig zu, bis ich auf einmal merkte, dass sie mich anstarrte. Unter dem Schleier des Bienenhuts konnte sie mein Gesicht genauso undeutlich erkennen wie ich ihres.
»Was ist los, Liebes?«
»Nichts.«
»Es ist nie nichts los. Irgendwas ist immer. Macht dir das Tagebuch noch Sorgen?«
»Na ja, ehrlich gesagt schon. Aber … nein, das ist es nicht. Es ist nichts.«
Eine Weile schwiegen wir, dann fragte ich, wie um ihre Behauptung zu bestätigen: »War bei dem großen Feuer jemand im Schloss?«
Schwester Ignatius zögerte, ehe sie antwortete: »Ja, leider.«
»Als ich gesehen habe, wie … wie der Rauch in den Bienenstock zieht, konnte ich mir plötzlich genau die Panik der Leute beim Brand im Schloss vorstellen.« Ich tastete wieder nach der Mauer, um mich festzuhalten.
Besorgt sah Schwester Ignatius mich an.
»Ist jemand gestorben?«, fragte ich weiter.
»Ja. Ja, allerdings. Tamara, als das Feuer im Schloss gewütet hat, sind
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