Ich schreib dir morgen wieder
fühlte ich mich zwar besser, war aber etwas beunruhigt über meine Schlafgewohnheiten. Wenn ich im Halbschlaf Tagebuch schrieb, was tat ich dann noch alles? Aber Schwester Ignatius hatte die Gabe, das Seltsame ganz normal – oder vielleicht besser gesagt gottgewollt und wundersam – erscheinen zu lassen. Ich brauchte mir keinen Stress zu machen, denn wenn die Zeit reif war, würden sich die Antworten auf meine Fragen von selbst einfinden, die Wolken würden sich verziehen und alles, was mir jetzt so kompliziert erschien, würde sich als einfach herausstellen. Und ich glaubte ihr.
»Meine Güte, schau dir mal das Wetter an.« Sie spähte aus dem Fenster. »Die Sonne ist wieder da. Wir sollten uns auf den Weg machen und nach den Bienen sehen.«
Als wir wieder im Garten waren, half sie mir, den Imkeranzug überzuziehen, in dem ich mich fühlte wie ein Michelinmännchen.
»Haben Sie die Bienen, damit Sie ein bisschen extra freie Zeit kriegen?«, fragte ich, während wir uns mit der Ausrüstung auf einen Bienenkorb zubewegten. »So mache ich es nämlich in der Schule auch immer. Wenn man im Chor mitsingt, kriegt man öfter mal schulfrei, um bei Wettbewerben oder Konzerten in der Kirche mitzumachen, zum Beispiel, wenn ein Lehrer heiratet oder so. Wenn ich Lehrer wäre und heiraten würde, hätte ich allerdings bestimmt keine Lust, mir von irgendwelchen Rotznasen, die mir nur das Leben schwermachen, am schönsten Tag meines Lebens die Ohren vollträllern zu lassen. Da würde ich lieber nach St. Kitts fahren und dort heiraten, oder auf Mauritius. Oder in Amsterdam. Da darf man schon mit sechzehn Alkohol trinken, leider nur Bier, und ich hasse Bier. Aber wenn es legal ist, würde ich nicht nein sagen. Nicht dass ich mit sechzehn heiraten wollen würde. Ist das eigentlich legal? Sie müssten das doch wissen, Sie haben doch persönlich Kontakt zu dem Herrn da oben.« Ich machte eine Kopfbewegung zum Himmel.
»Dann hast du also im Chor gesungen?«, erkundigte sich Schwester Ignatius, ohne weiter auf mein Geplapper einzugehen.
»Ja, aber nur in der Schule. Und auch nie bei Wettbewerben. Das erste Mal konnte ich nicht, weil wir grade zum Skifahren in Verbier waren, das zweite Mal hatte ich eine Halsentzündung.« Ich zwinkerte. »Der Mann der besten Freundin meiner Mutter ist Arzt und hat mir immer ein Attest geschrieben, wenn ich eines brauchte. Ich glaube, er war scharf auf meine Mum. Aber ich möchte nicht mal tot bei so einer Veranstaltung erwischt werden. Obwohl unsere Schule einen ziemlich guten Chor hat. Wir haben in unserer Altersstufe sogar schon zweimal den irischen Chorwettbewerb gewonnen.«
»Oh, was singt ihr denn so? Ich mochte
Nessun Dorma
immer besonders gern.«
»Von wem ist das denn?«
»Nessun Dorma?«
Sie starrte mich schockiert an. »Na, das ist eine der großartigsten Tenorarien aus dem letzten Akt von Puccinis Oper
Turandot.
« Sie schloss die Augen, summte die Melodie vor sich hin und wiegte sich im Takt hin und her. »Ach, ich liebe diese Musik. Natürlich kennt man die Arie vor allem von Pavarotti.«
»Ach ja, das ist doch der dicke Typ, der zusammen mit Bono aufgetreten ist, richtig? Aus irgendeinem Grund hab ich ihn immer für einen Promikoch gehalten, bis ich dann am Tag seiner Beerdigung in den Nachrichten mitgekriegt habe, dass er ein berühmter Sänger war. Bestimmt habe ich ihn mit dem Typen verwechselt, der immer diese Pizzas mit den abgefahrenen Belägen macht, Sie wissen schon, die Sendung im Food Channel. Pizza mit Schokolade und solches Zeug. Ich habe Mae angebettelt, sie soll so was auch mal für mich machen, aber dann musste ich beinahe kotzen. Nein, solche Sachen wie Pavarotti hatten wir nicht im Repertoire. Wir haben
Shut Up and Let Me Go
von den Ting Tings gesungen. Klang mit mehreren Stimmen auch ganz gut, richtig klassisch – hätte glatt aus einer Oper sein können.«
»Gibt es tatsächlich einen Sender, in dem es nur ums Kochen geht? So was kriegen wir hier gar nicht rein.«
»Ich weiß, das ist ja auch einer von den Satellitensendern. Bei Rosaleen und Arthur kriegt man ihn auch nicht. Wahrscheinlich würde er Ihnen sowieso nicht gefallen. Aber es gibt auch einen God Channel. Der wäre bestimmt was für Sie, da reden sie den ganzen Tag nur von Gott.«
Schwester Ignatius lächelte mich an, schlang den Arm um meine Schultern, drückte mich an sich, und so wanderten wir durch den Garten.
»Also, machen wir uns an die Arbeit«, sagte die Nonne, als wir schließlich vor
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