Ich schreib dir morgen wieder
den Lärm ignoriert und versucht, wieder einzuschlafen, aber das Hupen wurde immer lauter und penetranter. Schließlich kroch ich aus dem Bett, ging zum Fenster und wollte gerade anfangen zu fluchen, als ich Schwester Ignatius mit drei weiteren Nonnen in einem gelben Fiat Cinquecento entdeckte und furchtbar lachen musste. Sie saß hinten, das Fenster war heruntergekurbelt, und sie beugte sich weit hinaus, als wollte sie der Sonne entgegenwachsen.
»Romeo!«, rief ich und stieß das Fenster weit auf.
»Du siehst aus, als hätte man dich rückwärts durch eine Hecke geschleift«, entgegnete sie, und dann versuchte sie mich zu überreden, mit ihr zur Messe zu kommen. Aber ihre Mühe war vergeblich, und schließlich zerrte eine der anderen Schwestern sie ins Auto zurück. Sie quetschte sich neben die anderen, und das Auto setzte sich in Bewegung. Ich hab nur noch eine winkende Hand gesehen und eine Stimme gehört, die rief: »Danke für das Buuuuuch!«, und schon sind sie um die Ecke gesaust, ohne abzubremsen.
Ich hab noch ein paar Stunden gedöst und den Raum und die Freiheit genossen, faul sein zu können, ohne dass klappernde Töpfe in der Küche mich wecken oder der Staubsauger gegen meine Tür knallt, weil Rosaleen unbedingt den Teppich auf dem Treppenabsatz saugen muss. In meinen wachen Momenten ging mir durch den Kopf, dass Rosaleen gestern Abend gesagt hatte, Mum wäre eine Lügnerin. Haben sie sich vielleicht gestritten? Oder haben Arthur und Mum sich gestritten? Als wir angekommen sind, hat sie sich doch so gefreut, ihn zu sehen. Hat sich seither etwas verändert? Und wenn ja, was? Ich muss unbedingt unter vier Augen mit Arthur sprechen.
Schließlich bin ich aufgestanden und hab nach Mum gesehen, die noch schlief, obwohl es schon elf Uhr war. Für sie ist das ziemlich ungewöhnlich, und ich hab ihr vorsichtig die Hand unter die Nase gehalten, um festzustellen, ob sie noch atmet. Neben dem Bett stand das übliche, von Rosaleen zusammengestellte Frühstückstablett, und offensichtlich hatte Mum an den Sachen auch ein bisschen herumgepickt. Ich hab ein bisschen Obst aus der Küche geknabbert, bin durchs Haus geschlendert, hab mir das eine oder andere angeschaut und die Fotos studiert, die im Wohnzimmer an der Wand hängen. Arthur mit einem riesigen Fisch, Rosaleen in Pastell, wie sie an einem windigen Tag lachend ihren Hut festhält. Dann Rosaleen und Arthur Seite an Seite, aber ohne sich zu berühren, als wären sie Kinder, die man gezwungen hat, nebeneinanderzustehen und für ein Kommunionsfoto zu posieren, die Hände an der Hosennaht oder vor dem Bauch gefaltet, als könnten sie kein Wässerchen trüben.
Schließlich hab ich mich ins Wohnzimmer gesetzt und in dem Buch gelesen, das Fiona mir gegeben hat. Punkt ein Uhr, als das Auto mit Arthur und Rosaleen vor dem Haus hielt, wurde mir plötzlich ganz schwer ums Herz. Jetzt würde es keinen Freiraum mehr geben, die üblichen Spielchen und Geheimniskrämereien würden weitergehen.
Was in aller Welt hab ich denn erwartet?
Ich hätte Nachforschungen anstellen sollen. Ich hätte in den Schuppen einbrechen und nachsehen sollen, wie viel Platz es dort wirklich gibt. Ich glaube nämlich, dass Rosaleen mich anlügt. Ich hätte einen Arzt anrufen sollen, damit er sich Mum anschaut. Ich hätte das Haus gegenüber auskundschaften oder zumindest einen Blick in den Garten riskieren sollen. Alles Mögliche hätte ich machen können, aber stattdessen hab ich nur rumgehangen und Trübsal geblasen. Und es wird eine ganze Woche dauern, bis ich das nächste Mal so eine Gelegenheit kriege.
Was für ein verschwendeter Tag.
Anmerkung für mich selbst: Benimm dich in Zukunft nicht so idiotisch und nutze deine Chancen!
Ich schreib dir morgen wieder.
Nachdenklich legte ich das Tagebuch wieder zurück unter die lose Bodendiele. Dann holte ich ein frisches Handtuch aus dem Schrank und mein gutes Shampoo, das inzwischen fast leer und nicht ersetzbar war – weil ich es hier nicht kaufen konnte und weil es zum ersten Mal in meinem Leben sowieso zu teuer für mich war. Gerade wollte ich unter die Dusche, als mir einfiel, dass im Tagebuch für heute Vormittag ein Besuch von Schwester Ignatius angekündigt war. Eine ideale Gelegenheit zu testen, ob die Vorhersage stimmte. Ich ließ das Wasser laufen und wartete auf dem Treppenabsatz.
Kurz darauf klingelte es, und schon diese einfache Tatsache jagte mir gehörig Angst ein.
Rosaleen öffnete die Tür, und ehe sie etwas sagen konnte,
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