Ich sehe dein Geheimnis
keineswegs sicher war.
In dem Moment hörten wir das Knirschen von Reifen in unserer Einfahrt. Gabriels Jeep hielt vor unserem Haus. Mein Herz schlug schneller. Vielleicht geht es nicht um den Fall , dachte ich. Vielleicht will er mich wiedersehen und den Kuss von gestern fortsetzen .
Ein Streifenwagen kam hinter Gabriels Jeep zum Stehen.
»Was ist los?«, fragte Mom.
Ich hatte keine Ahnung. Mit düsterem Gesichtsausdruck stieg Gabriel aus. Er war ganz sicher nicht hier, um mich zu küssen. Und hätte er einen Auftrag für mich gehabt, wäre er nicht mit Verstärkung gekommen.
Er ging direkt auf mich zu. »Es tut mir leid.«
Verwirrt sah ich ihn an. »Was denn?«
Hinter uns linste Perry aus der Tür. »Was ist los?«
Gabriel trat zur Seite und sein Vater erklomm die Stufen zur Veranda. »Periwinkle Fern, Sie müssen mitkommen.«
Achtzehn
Ich stellte mich schützend vor meinen Bruder und hielt Kommissar Toscano zurück, indem ich ihm die Hand auf die Brust legte. »Nehmen Sie ihn fest?« Ich gab mir keine Mühe, das panische Quietschen in meiner Stimme zu unterdrücken.
Er ging um mich herum und redete weiter mit Perry. »Sie müssen mit uns aufs Revier kommen und einige Fragen zu Ihrer Beziehung mit Victoria Happel beantworten.«
Jemand hatte ihn in jener Nacht gesehen.
Jemand hatte der Polizei davon erzählt.
»Die Ergebnisse sind da«, sagte Gabriel leise, ohne mich anzusehen. »Victoria und Billy wurden mit derselben Waffe getötet.«
»Aber das hat nichts mit Perry zu tun«, sagte ich trotzig.
Kommissar Toscano zeigte ein Blatt Papier vor. »Wir haben einen Durchsuchungsbefehl und dürfen das Haus nach dieser Waffe durchsuchen.«
Einladend breitete ich die Arme aus: »Nur zu. Suchen Sie, so viel Sie wollen. Sie werden hier keine Mordwaffe finden.«
Perry schüttelte entsetzt den Kopf. Wollte er mir sagen, ich solle den Mund halten? Sie nicht hereinlassen? Ich sah ihn verwirrt an. Alle anderen blickten zu Perry, der zu Boden schaute.
»Wir werden bei der Durchsuchung vorsichtig mit Ihren Besitztümern umgehen«. Kommissar Toscano sprach eher mit meiner Mutter als mit mir, weil ich immer noch Perry anstarrte und mich fragte, warum er so panisch ausgesehen hatte.
In der Zwischenzeit waren drei weitere Polizisten hinzugekommen. Einer trug Handschellen bei sich.
»Die sind nicht nötig«, sagte Perry. »Ich komme freiwillig mit.«
Hilflos sah ich zu, wie mein Bruder auf den Rücksitz des Streifenwagens verfrachtet wurde. Mein stets ruhiger, gefasster Bruder, der ewig Vernünftige in un serer Familie. Der Einzige, der meine Mutter beruhi gen konnte, wenn sie Stress hatte. Der Einzige, bei de m ich mich sicher fühlte, wenn ich wieder einmal gehänselt wurde. Der Einzige, der es nach dem Ende meiner Beziehung zu Justin, als mein Leben in Trümmern lag, geschafft hatte, mich zum Lachen zu bringen.
Er war viel mehr als nur mein Bruder. Er war mein bester Freund.
Als der Streifenwagen losfuhr, schaute Perry durch das Fenster. Ich hob eine Hand, bis das Auto nicht mehr zu sehen war. Dann sank ich auf den Boden der Veranda. Aber ich kämpfte gegen die Tränen an. Ich musste stark sein, musste mich zusammenreißen – für Mom und für Perry.
Ich hörte Moms besorgte Stimme. Sie führte die Polizisten ins Haus. Ich versuchte, mich auf die Frage zu konzentrieren, wie es zu dieser Situation hatte kommen können.
Wenn jemand Perry in jener Nacht mit Victoria gesehen hatte, warum hatte er sich dann erst nach so langer Zeit als Zeuge gemeldet? Das ergab keinen Sinn. Schließlich konnte niemand erst jetzt davon erfahren haben …
Mit einem Mal fügten sich die Puzzleteile in meinem Kopf zusammen. Ich begriff. Aber das konnte nicht sein. Niemals würde …
Ich rannte los.
Das altmodische Büro der Lokalzeitung lag im Stadtzentrum, zwischen Rathaus und Post. Über die große, gläserne Eingangstür war The Eastport Times gemalt, aber das P war stellenweise abgeblättert und hätte einen neuen Anstrich vertragen können. Eine kleine Zeitung hatte eben ein kleines Büro.
Ich blieb kurz an der Tür stehen, um Luft zu holen und mir den Schweiß von der Stirn zu wischen. Dann ging ich wie selbstverständlich hinein und direkt auf Nates Schreibtisch zu. Sein Kopf war zum Teil von einem riesigen Computermonitor verdeckt. Er schrieb eilig etwas auf einen Notizblock.
Beim Geräusch meiner Schritte blickte er auf. »Hallo Clare, was ist los?«
Ich versuchte zu erkennen, was er geschrieben hatte. »Woran
Weitere Kostenlose Bücher