Ich sehe dich
an, was die anderen Frauen zu sagen haben, vielleicht hilft es.«
»Danke, das Angebot nehme ich gerne an.«
»Schön«, lächelte Lydia und war sich sicher, dass auch Sara sich der Gruppendynamik nicht würde entziehen können.
20
KulturLaden stand auf dem in Plastik eingeschweißten A-4-Karton, der an der schweren Eisentür hing. Nach kurzem Zögern trat Sara ein und blieb im Eingang stehen. Sie zupfte unsicher an ihrem karierten Minirock. Vielleicht hatte Ronnie doch Recht. Sie wagte sich auf ungesichertes Terrain, allein und ohne die Gefahren zu kennen. Beim Klettern würde sie über so viel Leichtsinn den Kopf schütteln. Aber ihre Schwester einfach fallen lassen – nein, das würde sie auch nicht tun. Seufzend machte sie einen Schritt in den Vorraum. Ein Getränkekühlschrank surrte gleichmäßig. Daneben stapelten sich Kisten mit Leergut und übereinandergestellte Stühle. Aus einem Halter an der Wand quoll ein Durcheinander an Postkarten und Programmheften. Sie entnahm ein Programmheft, auf dem in grünen Buchstaben KulturLaden – Dezember stand. Dann ging sie auf eine Tür zu, die offen stand.
Sie hörte Stimmen. Nur Frauenstimmen. Vermutlich die Selbsthilfegruppe.
Sollte sie einfach reingehen? Aber wie sich vorstellen? Hallo, ich bin Sara und wollte wissen, ob ihr meine Schwester für eine Mörderin haltet? Nein, es war besser, wenn Valeska sie vorstellte und der Gruppe erklärte, warum sie hier war.
Unschlüssig ließ sie die Augen über die Poster schweifen, die jeden Zentimeter freier Wand im Eingangsbereich bedeckten. Ihr Blick blieb an einem Poster hängen, das einen von Gitterstäben halb verdeckten Frauenkopf mit Sonnenbrille, schwarzen Haaren und blauen Lippen zeigte. Gangstergirls las sie. Nichts ist so süß wie das Verbrechen, solange man nicht selbst das Opfer ist . Ein Dokumentarfilm über das Frauengefängnis Schwarzau von Tina Leisch. Wie passend, dachte Sara, und hier bin ich, um mehr über meine Schwester zu erfahren, derzeit wohnhaft im Frauengefängnis Eichstätt.
»Sara!« Valeskas Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Sie stand in der Tür, sah sie auffordernd an. »Warum kommst du nicht rein?«
Valeska kam auf sie zu. Das grüne Wollkäppi vom Nachmittag hatte sie gegen eine schwarze Baskenmütze getauscht, die, passend zur schwarz gerahmten Brille, die rotblonden Locken betonte und mit dem dunklen Kapuzenshirt harmonierte.
»Ich wollte mich nicht einfach so in die Gruppe drängen.«
»Wir beißen nicht.« Valeska lachte, nahm sie bei der Hand und führte sie in den Raum. Von dem Veranstaltungssaal gingen zwei Türen ab. Durch die eine war eine kleine Kochnische und der Durchgang zur Toilette zu sehen, an der anderen hing ein Schild mit der Aufschrift Büro . Die Tür stand halb offen, das Dunkel dahinter war erleuchtet vom bläulichen Licht eines laufenden Computers.
»Die Räumlichkeiten sind von der Stadt gesponsert«, erklärte Valeska. »Für stadtteilbezogene Kleinkunst, Singkreise, alles Mögliche. Ich habe den Raum jeden Dienstag. Von sechs bis halb neun für Frauenwehr, aber es können auch Nichtmitglieder kommen, die Termine stehen im Monatsprogramm.«
Sie deutete auf das Papier in Saras Hand.
»Aber heute ist Freitag.«
»Wir haben ausnahmsweise gewechselt.« Flüsternd fügte Valeska hinzu: »Ach ja, du solltest lieber nicht erwähnen, dass du Christinas Schwester bist. Einige hier sind verunsichert und misstrauisch, nach allem, was passiert ist. Sag einfach, du hast von uns im Programm gelesen.«
Sara schluckte. Auf so was war sie nicht vorbereitet. Doch für Einwände war es zu spät. Sie waren inzwischen bei dem Kreis in der Mitte des Saales angekommen, und Valeska signalisierte Sara, sich neben sie zu setzen. Die Diskussion der anderen Frauen verstummte, sie verteilten sich auf den freien Stühlen.
»Guten Abend«, begrüßte Valeska die Runde. »Das ist Sara. Sie möchte sich heute unsere Gruppe ansehen.«
»Hallo.« Sie knautschte das Programmheft zusammen und rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her.
»Ich stell dir mal die anderen vor, Sara.« Valeska zeigte auf eine etwa fünfzigjährige Frau mit unordentlichen blonden Haaren. Ihr linker Arm war geschient, die Haut unter ihrem rechten Auge dunkellila, über der Augenbraue klebte ein Pflaster, in ihrem Mundwinkel qualmte eine Zigarette. »Das ist Marie. Wir haben ihr heute erlaubt, hier zu rauchen. Wenn dich das stört …«
Sara winkte ab. »Im Gegenteil. Ich könnte jetzt selbst eine
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