Ich sehe dich
Foreneinträge verfolgt. Außerdem habe ich lange mit ihr telefoniert. Das reicht doch für einen ersten Eindruck, oder?«
Er beugte sich zu Sara und nahm ihr Handgelenk. »Noch mal. Ich will nicht, dass du damit etwas zu tun hast. Es geht nicht nur um dich, sondern auch um Jonas und mich. Ich will nicht, dass du uns in dieses Milieu hineinziehst.«
Mit einer schnellen Bewegung befreite sie ihr Handgelenk und stand auf. »Es geht weder um mich noch um Jonas oder dich. Es geht um Tini.«
Bevor er etwas erwidern konnte, schnitt sie ihm das Wort ab. »Meine Schwester braucht meine Hilfe. Das lasse ich mir nicht ausreden.«
26
Die Nachmittagssonne erwärmte die Winterluft, und immer mehr Schlittschuhläufer zogen ihre dicken Jacken aus und flitzten im Pullover über das Eis. Sara legte Jonas’ Daunenanorak zu dem Kleiderhaufen auf der Parkbank und beobachtete, wie ihr Sohn voller Ehrgeiz dem winzigen Puk nachstürmte, den Eishockeyschläger fest in beiden Händen. Er würde sie die nächste halbe Stunde nicht vermissen, dessen war sie sich sicher. Sie warf noch einen Blick auf ihn, dann wandte sie sich ab und schlenderte den Kanal entlang Richtung Nymphenburger Schloss.
Wenn Michael seine Verteidigung neu aufbaute, musste er unbedingt darlegen, dass Tini nur wegen ihres Eintrags in der Folterkammer verdächtig war. Er musste Anja als Beispiel nehmen, Anja, die ohne die Operation sofort verhaftet worden und damit das nächste Opfer eines Justizirrtums geworden wäre. Diese Argumentation musste einfach einen berechtigten Zweifel streuen. Sie klammerte sich daran wie ein abgestürzter Bergsteiger an sein Seil. Ein dünnes, brüchiges Seil. Sie war sich dessen bewusst. Warum sollte jemand Heiner Grossmann und Paul töten? Was für ein Motiv könnte dahinterstecken? Ein Rächer misshandelter Frauen, der diese dann für seine Taten büßen ließ? Wohl kaum. Von weitem sah sie Michael lächelnd auf sie zukommen. Augenblicklich schlug ihr Herz schneller.
An der Brücke stellten sie sich ans Geländer und blickten auf das bunte Gewimmel. Vor fast einer Woche hatte sie an derselben Stelle gestanden. Nachdem sie von Pauls Tod erfahren hatte. Was seitdem alles passiert war. Ihre Welt hatte sich verändert. »Hast du etwas von Tini gehört? Geht es ihr gut? Sie ist jetzt schon seit vier Tagen in Untersuchungshaft, ich weiß nicht, wie lange sie das aushält!«
»Sie ist taffer, als du denkst.«
»Wann kann ich sie besuchen?«
Michael sah sie an. »Ich habe bereits Besuchsanträge für dich und deine Mutter gestellt. Ich gehe davon aus, dass ihr kommende Woche zu ihr könnt.« Er konzentrierte sich wieder auf die wogende Masse der Eisläufer.
»Ich hab noch mal über die Sache mit dem Geld nachgedacht.«
Michael schwieg.
»Ich frage mich schon die ganze Zeit, wer das gewesen sein könnte«, fuhr sie fort. »Ich meine, so viel Geld? Das ist der Hammer! Da muss doch ein Liebesverhältnis bestanden haben. Meinst du nicht?«
Sara beobachtete Michael von der Seite. Sein unbeteiligter Blick auf die Menschenmenge am Kanal irritierte sie. Hörte er ihr eigentlich zu? Schon komisch, sie sprach ihn jetzt zum zweiten Mal auf ihre wahrscheinlich heißeste Spur an, und er reagierte einfach nicht. »Überleg mal. Tini war in ihrer Ehe so unglücklich, dass sie Paul am liebsten unter der Erde gesehen hätte. Was spricht denn dagegen, dass sie ein Verhältnis hatte? Sie hat Paul schon einmal betrogen. Der neue Mann in ihrem Leben gibt ihr genug Rückendeckung, dass sie endlich den Schritt wagen kann, du weißt schon, Scheidung und so. Dann macht Paul ihr einen Strich durch die Rechnung und verzockt alles. Sie ist total verzweifelt, wendet sich an ihren Liebsten, der möchte ja auch, dass sie endlich frei ist und erklärt sich bereit, ihr das Geld zu geben. Und dann kommt ihm die Idee, Paul umzubringen. Vielleicht denkt er ja, dass Paul sie sonst nie in Ruhe lassen würde, oder … naja, egal. Auf jeden Fall könnte Tini ihm von der Folterkammer erzählt haben, vielleicht hatte er sogar ihre Logindaten. Aber dann wird Tini verhaftet. Dabei hatte er Paul extra vergiftet, als sie auf der Weihnachtsfeier war, also eigentlich ein Alibi hatte. Vielleicht hofft er, dass sie freigesprochen wird. Und sie sagt nichts, um ihn zu schützen.«
Sara sprach vor Aufregung immer schneller. Das war definitiv eine plausible Spur. Die einzige, die sie bislang hatten. Wieder beobachtete sie ihn. Er wirkte in sich gekehrt, hatte die Ellenbogen auf der
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