Ich sehe dich
Im Gegenteil, jetzt würde er sich erst recht hineinsteigern, um dann den ganzen Abend am Küchentisch ein scheinbar konstruktives Streitgespräch zu führen. Aber mit ihm zu streiten, war so sinnlos. Sie hörte Stimmen, die sich dem Büro näherten und weitergingen, dann das Öffnen und Schließen der Eingangstür. Jemand kam ins Büro und blieb auf der Türschwelle stehen, die Klinke in der Hand.
»Kannst du kurz die Stellung halten?« Suphie ließ die Klinke los und legte sich ihren Tschador über die glänzenden Haare. »Die anderen sind weg. Nur fünf Minuten. Ich bin gleich wieder da.«
Sara nickte stumm. Was waren schon fünf Minuten. Eine Zornesfalte mehr auf Ronnies Stirn. Fünfzig extra Atemzüge, bevor der Sturm losbrach. Sie ging zur Tür, nahm den Parka vom Haken, rollte ihn so klein wie möglich zusammen und versuchte vergeblich, ihn in den Rucksack zu quetschen. Sie nahm die Colaflasche und die Bücher heraus und versuchte es erneut. Diesmal passte er hinein. Sie zog den Reißverschluss zu und schlüpfte in ihren Mantel. Als sie den Bürostuhl auf seinen Platz schob, stieß sie gegen einen Widerstand. Eingerollt wie eine Schlange, blockierte Valeskas rote Perücke die Stuhlbeine. Sie bückte sich und hob sie auf.
Die Schlange! Sie schlug sich die Perücke vor die Stirn. Eine Spur hatte sie ja doch noch. Die Mamba musste unter der Hand verkauft worden sein, sonst hätte die Polizei längst den Besitzer! Der Verkäufer könnte den Käufer beschreiben. Sie griff nach dem Handy, das noch auf dem Tisch lag, und wählte eine Nummer.
»Peter? Sara hier. Du musst mir einen Gefallen tun.«
»Na, Kletterfee! Was läuft denn so? Neuigkeiten von deiner Schwester?«
Sie sah das breite Grinsen des Kletterkollegens vor sich. »Hör zu. Ich sitz in der Tinte. Ich brauche deine Hilfe.«
»Über was schreibst du diesmal? Pinguine und Eisbären? Passend zur Saison?«, witzelte er.
»Nein, keinen Artikel. Ich sitze richtig tief drin. Die Bullen wollen mir einen Mord anhängen.«
Sie hörte einen leisen Pfiff.
»Holladiewaldfeesaklzement.«
»Peter, ich muss wissen, ob jemand in letzter Zeit eine schwarze Mamba unter der Hand verkauft hat. In den letzten zwei, drei Wochen. Ich brauch einen Kontakt. Den kannst du mir als Tierhändler bestimmt vermitteln.« Sie ließ die Perücke um ihren Zeigefinger kreisen. Wieder ertönte sein Pfiff.
»Du hast Nerven. Du weißt doch, diese Typen kommen ungern aus ihren Höhlen.«
Sara hörte, wie Peter sich den dichten Haarschopf kratzte. Ein Zeichen, dass er nachdachte. Sie wartete geduldig.
»Kannst du was springen lassen?«, fragte er schließlich.
»Wie viel?« Sie stoppte die Bewegung des Fingers abrupt. Die fliegenden Kunsthaare fielen schlaff über ihren Unterarm. Vielleicht konnte ihre Mutter etwas drauflegen, wenn es für ihr Budget zu viel war. Oder Michael.
»Dreihundert. Für weniger kommen solche Typen nicht aus ihren Schlupflöchern.«
»Okay.« Das schaffte sie alleine.
»Ich hör mich um. Aber ich kann nichts versprechen, klar?«
»Ist klar. Vielen Dank. Du bist ein Schatz!«Sie kniff triumphierend die Lippen zusammen und ballte unter der Perücke ihre Hand zur Faust. Ich gebe nicht auf, Tini, hörst du?
51
Du bist also Sara.
Sara Neuberg.
Er duckte sich in den Busch und beobachtete durchs Fenster, wie sie die zu einem Kreis aufgestellten Stühle an die Wand stapelte.
Weißt du nicht, dass man sich in anderer Leute Angelegenheiten nicht einmischen soll? Hat deine Mutter dir das nicht beigebracht? Was hattest du für eine Mutter, Sara? Hat sie dir über das Haar gestreichelt, wenn sie dich ins Bett gebracht hat? Oder hat sie dir eine ausgestopfte Riesenspinne aufs Bett gelegt, damit du die ganze Nacht vor Angst keinen Mucks machst?
Ich bin ein Ungeheuer? Ein Sadist? Unmenschlich? Ich?
Er drückte den Mittelfinger nach unten.
Ich habe uns ein schönes Plätzchen hergerichtet. Da kann ich dir von dem wahren Ungeheuer erzählen. Gleich hier. Direkt neben eurem KulturLaden. Ist das keine Ironie des Schicksals?
Beim Ringfinger ertönte das vertraute Knacken. Zufrieden löste er die Hände.
Wartest du auf deine Freundin? Traust du dich nicht alleine heraus? Du hast Recht, in dunklen Hinterhöfen lauern Gefahren. Das spürst du, nicht wahr? Du weißt, dass ich hier bin. Dass ich auf dich warte. Aber das nützt dir nichts. Ich habe deine Witterung aufgenommen. Unser Spiel hat begonnen.
Vielleicht schlägst du einen Haken, aber zum Schluss landest du in
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