Ich sehe dich
meinen Fängen.
Auch du kommst nicht davon.
Das sind die Spielregeln.
52
Das Handy in Saras Manteltasche vibrierte. Sie zog es heraus und blickte auf das Display.
»Hallo Mama, ich bin schon unterwegs.« Sie konnte die Taxisäule an der Theresienhöhe schon blinken sehen, dennoch beschleunigte sie ihren Schritt.
»Ronnie war gerade hier. Er hat Jonas abgeholt. Du, so habe ich ihn noch nie erlebt! Er hat gesagt, ich soll dir ausrichten, dass du Jonas nicht sehen darfst, bis du zur Vernunft gekommen bist. Er behauptet, es sei nicht sicher, sich in deiner Nähe aufzuhalten. Was ist da los, Schätzchen?«
Sara blieb abrupt stehen. Er verbot ihr, Jonas zu sehen? Ihren Sohn? »Das ist nicht dein Ernst! Wie … nicht sicher? Jonas war doch bei dir! Er will mir Jonas wegnehmen? Das kann er nicht machen.«
Sie bebte vor Wut. »Jetzt reicht’s! So ein …«
Zwei ältere Damen wichen erschrocken aus, als sie die letzten Worte in den Telefonhörer schrie.
»Sara, was ist los bei euch?«
Sie schloss die Augen und zählte still bis zehn.
»Sara?«
Sie kannte die feinen Nuancen in der Stimme ihrer Mutter. Sie wusste, wann Schweigen zwecklos war.
»Nichts ist los!«, schnaubte sie.
»Nichts?«
»Nicht so was. Wir haben uns bei der Therapeutin in die Haare bekommen und dann hatte ich einen Unfall und …«
»Um Gottes willen! Ist dir was passiert?«
»Nein! Ich bin dann zu der Frauengruppe, du weißt schon, da, wo Tini immer war, und dann ist die Gruppenleiterin umgekippt, und ich musste den Notarzt holen und konnte nicht weg. Du hast Jonas geholt, und das war’s. Nichts also.« Die Angst, die seit dem Vorfall im KulturLaden immer wieder aufflackerte, wurde von Wut überlagert. Er war zu weit gegangen. Endgültig.
»Schätzchen, was macht ihr denn für Sachen? Jetzt, wo Christina unsere Unterstützung braucht!«
»Aber darum geht es doch! Ich versuche, ihr zu helfen, und Ronnie verbietet es mir!« Sie setzte ihren Weg fort. Schnell näherte sie sich dem Taxistand.
»Aber Sara, das macht doch keinen Sinn! Warum sollte er dir das verbieten?«
»Weil er meint, das würde uns in Gefahr bringen. Und dass die Frauen dort alle gestört sind. Du kennst doch Ronnie.«
»Bringst du euch denn in Gefahr?«
»Nein!«, rief sie bestimmt und lief an den Taxis vorbei zur U-Bahn-Station. Wenn sie Jonas nicht bei ihrer Mutter holen musste, konnte sie sich das Geld für das Taxi sparen. Sie dachte an die vergangenen Stunden. An die Pfeffersprayattacke auf den arglosen König. Sie verzog das Gesicht.
»Bist du sicher?« Wieder diese Nuance im Tonfall. Die Ich habe Angst um dich- Note, die auf jeder Autobahn einen Geisterfahrer und in jedem Klettersteig einen losen Tritt befürchtete. Sara seufzte. Wie war das mit der Glasglocke? Wer setzte sie wem auf?
»Mama! Jetzt fang du nicht auch noch an. Es reicht, wenn Ronnie Gespenster sieht. Ich glaube nicht, dass wir in Gefahr sind, und wenn überhaupt jemand betroffen wäre, dann wäre das ich. Nur ich.«
»Das ist genauso schlimm! Du bist meine Tochter! Warum kommst du nicht vorbei? Ich kann dich holen.«
»Später vielleicht, ich will jetzt erst nach Hause. Und dann hole ich mir mein Kind zurück. Ich ruf dich an.«
Sie betrat den U-Bahnhof und blickte sich verstohlen um. Sie war so leicht zu manipulieren. Kaum setzte ihre Mutter neue Angststachel, schon fühlte sie sich wieder bedroht. Bildete sie sich jetzt wirklich ein, dass ihr jemand folgte? Sie lief die Treppen hinunter und stellte sich an einen Kiosk. Mit gespieltem Interesse nahm sie eine Illustrierte aus dem Zeitungsständer und blätterte darin, während sie die Menschen um sich herum beobachtete. Der Mann in dem dunklen Mantel dort, war der nicht auf der Straße hinter ihr gewesen? Er stempelte seine Fahrkarte und verschwand auf der Rolltreppe. Was war mit dem jungen Mann in der Lederjacke? Wie verschlagen der aussah. Allein die Körperhaltung. Aggression in jeder Pore. Oder der Dunkelblonde mit dem blauen Anorak. Hatte der sie nicht am Taxistand überholt? Ja. Sie war sich sicher. Was machte der so lange am Ticketautomat? Mal sehen, was er tut, wenn ich plötzlich gehe. Sie schlenderte Richtung Rolltreppe.
»He, du, Fräulein! Bezahlen!«, schrie der Kioskhändler ihr hinterher. Sie lief zurück, spürte, wie ihr die Hitze in den Kopf stieg, und wusste, dass sie feuerrot war.
»Entschuldigen Sie bitte, ich war ganz woanders in Gedanken, was macht das bitte?«
»Ein Euro fünfzig«, sagte der Händler und hielt
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