Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ich sehe dich

Titel: Ich sehe dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Clark
Vom Netzwerk:
Kirschner …«
    Sara ließ ihn los, nahm den Rucksack von ihren Schultern, holte einen Turnbeutel heraus und gab ihn Jonas. »Aber Schätzchen! Ich lass dich doch nicht ohne Turnbeutel zu Frau Kirschner! Das Geschenk für Tom ist auch da drin, also nicht herumwerfen!« Sie gab Jonas einen schmatzenden Kuss auf die Backe. »Ab die Post! Viel Spaß! Ich hol dich bei Tom ab.«
    »Guten Morgen, Sara.« Die Stimme ihrer Schwiegermutter klang noch kühler als sonst.
    »Guten Morgen.« Sara blickte Jonas nach, wie er die Treppe hinaufrannte und hinter der großen, braunen Doppeltür verschwand. Unter dem musternden Blick ihrer Schwiegermutter fühlte sie sich sofort unwohl. Er machte ihr bewusst, wie schäbig ihre Jeans und der abgetragene Lammfellmantel im Vergleich zu ihrem vornehmen Hosenanzug und der Lodenjacke wirkten. Plötzlich begriff sie, wie sehr diese perfekte Fassade sie erdrückte, wie sehr sie die abschätzigen Blicke ihrer Schwiegermutter hasste, diese Blicke, die Ronnie von ihr übernommen hatte.
    »Ronnie wünscht, dass Jonas nach der Schule wieder zu uns kommt«, sagte sie spitz.
    »Das wird er nicht«, antwortete Sara bestimmt. »Jonas geht nach der Schule auf einen Geburtstag. Und von dort werde ich ihn abholen und mit nach Hause nehmen. Wo er hingehört. Wenn Jonas möchte, kann er euch gerne am Wochenende besuchen. Und wenn Ronnie das nicht gefällt, dann soll er mich anrufen.«
    »Ich bin mir sicher, das wird ihm nicht gefallen. Ich hoffe, du weißt, was du da tust.« Ihre Schwiegermutter presste die Lippen fest zusammen, bis der Ausdruck höchster Missbilligung nicht mehr zu übersehen war.
    »Danke, ich weiß genau, was ich tue. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag.« Sie wandte sich abrupt ab. Dann ging sie direkt zur U-Bahn, die Hand fest um den Schlüssel in ihrer Manteltasche geballt. Sie hatte etwas Wichtiges zu erledigen.
     
    Die Haustür stand offen. Sara trat einen Schritt zurück und vergewisserte sich, dass die Hausnummer stimmte. Dann überprüfte sie noch einmal die Klingelschilder, doch der Name, der hier stehen sollte, fehlte.
    Im Eingang roch es nach Essen. Bei den Briefkästen fuhr sie mit dem Finger die ungleichmäßigen Namensschilder entlang. Schließlich fand sie, was sie suchte.
    Zögerlich ging sie auf die breite Treppe zu. Sollte sie wirklich …? Was, wenn …? Sie gab sich einen Ruck und stieg die Stufen hoch. Am Treppenabsatz machte sie Licht, bevor sie im Flur die Namen an den Wohnungstüren studierte. An der letzten Tür rechts stand keiner.
    Sie klingelte und klopfte abwechselnd. Erst zaghaft, dann immer stärker. Als keiner öffnete, holte sie den Schlüssel aus ihrer Manteltasche und steckte ihn ins Schloss. Plötzlich hörte sie, wie hinter ihr die Tür aufging.
    »He, geht’s noch, oder was?« Ein verschlafener Mann blinzelte sie verärgert an. »Was soll der Lärm?«
    »Tut mir leid, ich dachte, ich hätte den Schlüssel vergessen, aber jetzt habe ich ihn gefunden«, sagte Sara und versuchte, einen zerknirschten Blick aufzusetzen.
    »Wie viele Leute haben eigentlich einen Schlüssel? Was wird das? Konspirativer Treffpunkt, oder was?« Der Mann kratzte sich durch die offene Pyjamajacke am Bauch und gähnte.
    »Unsinn.« Mehrere Leute hatten einen Schlüssel? War das gar nicht Valeskas Wohnung? Vielleicht eine Art Safehouse für Frauen, die kurz Unterschlupf suchten? Aber wieso war dann die Stromrechnung an Valeska Liebig adressiert? Und am Briefkasten nur ihr Name?
    »Der kleine Rotschopf am Sonntag hatte einen und der Typ gestern. Und du. Und Valeska. Das macht vier Schlüssel für ein Einzimmerappartement. Sag Valeska, sie soll mal ihren Mietvertrag durchlesen, was da über Untervermietung drinsteht. Auch tageweise.«
    Ein Typ? Dann fiel Safehouse wohl weg. »Ich soll nur was abholen – mit Valeskas Schlüssel. Bleib mal locker, ja?«
    Ob der Nachbar den Nagel auf den Kopf getroffen hatte und Valeska ihre Wohnung bereits untervermietete? Schließlich wollte sie ja abhauen.
    Sara betrat die Wohnung und legte den Riegel vor. Sie atmete tief durch.
    Also gut, Valeska, dann erzähl mal: Wo bist du und wer wohnt hier?
    An der Garderobe sah sie zwei Jacken, mehrere Mützen, einen Schal, einen Baseballschläger, einen kaputten Schirm, ein Paar Sportschuhe, ein Paar Stiefel und eine Ledertasche. Die schwarzen Stiefel erkannte sie sofort wieder. Valeska hatte sie am Freitag bei der Gruppenstunde getragen, zusammen mit der schwarzen Baskenmütze und dem schwarzen

Weitere Kostenlose Bücher