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Ich sehe dich

Titel: Ich sehe dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Clark
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Schal. Auch eine der Jacken kam ihr bekannt vor. Ganz ausgezogen kannst du also noch nicht sein. Es sei denn, du hast die Wohnung mitsamt Klamotten vermietet. Sie betrat die kleine Küche. An einer Pinnwand hingen kleine aus Zeitungen ausgeschnittene Artikel und bunte Zettel. Sie überflog mehrere Überschriften.
    Vater tötet Familie
Die Entlassung des Familienvaters Helmut K. aus
einer dreimonatigen Haftstrafe war für seine drei
Töchter (6, 11 und 13 Jahre) tödlich. Er hatte
wegen häuslicher Gewalt eingesessen und wollte
 sich mit den grausamen Morden an seiner Frau
für ihren Verrat rächen. Gestern Abend …
     
    Tödliches Familiendrama
Mit 27 Messerstichen rächte sich Gerhard M, 38,
aus Pasing dafür, dass seine Frau Melanie M., 32,
ihn verlassen hatte. Der bis dahin nicht auffällig
gewordene Vertreter passte seine Frau nach
Feierabend in einer …
     
    Sie las den Artikel zu Ende, dann das Gedicht darunter, in Tusche über eine gezeichnete Rose gepinselt.
     
     
    Des Lebens Tag ist schwer und schwül
    Des Todes Odem leicht und kühl;
    Er wehet freundlich uns hinab,
    Wie welkes Laub ins stille Grab.
    (F. L. von Stolberg)
     
     
    Ach Valeska, denkst du so über das Leben? Dass der Tod uns erlöst? Erlöst von was? Angst? Verzweiflung? Oder drehst du es um, und erlöst deine Schützlinge durch den Tod ihrer Peiniger?
    Neben der Pinnwand hing eine Collage. Im Zentrum befand sich das Portraitfoto einer schönen jungen Frau mit strahlenden Augen und einem herzlichen Lachen, darum kreisförmig angeordnet Fotos von Kindern. Sie betrachtete die Kinderfotos genau und stellte fest, dass es sich um verschiedene Fotos derselben drei Kinder handelte. Eine hübsche Familie, glückliche, lachende Gesichter.
    Um die Kinderfotos legte sich ein weiterer Kreis, gezeichnete abstrakte Monsterfratzen, die mit dem unregelmäßigen Untergrund verschmolzen, in den ganz fein vier Namen eingraviert waren: Anina, Lucca, Neni, Nora.
    »Du bist sicher die Freundin, die von ihrem Mann erschossen wurde«, murmelte Sara. »Du wüsstest wahrscheinlich, wo sie jetzt steckt.«
    Sie strich mit dem Finger über die Fotos der Frau und ihrer Kinder und spürte Trauer über den verlorenen Kampf der ihr unbekannten Familie in sich aufsteigen. Schnell wandte sie sich ab und ging zum Küchentisch. Dort stapelten sich neben einem Laptop zusammengeheftete Papiere und Briefe. Sara nahm den obersten Stapel, über dessen Titelblatt sich ein rötlicher Fleck zog, als hätte ein Marmeladebrot Spuren hinterlassen. Zwangsstörungen: Der Einsatz von Zwangshandlungen zur Neutralisierung von Zwangsvorstellungen. Hausarbeit von Valeska Liebig
     
    Sara schlug die erste Seite auf.
     
    Wer unter Zwangsgedanken und Zwangshandlungen leidet, braucht viel Zeit, da eine Zwangshandlung oft in Programmabläufe eingebunden ist, die immer gleich sein müssen. Dieses ritualisierte Verhalten gehört zu der häufigsten Verlaufsform von Zwangsstörungen.
     
    Gespannt überflog sie mehrere Seiten.
     
    Viele Zwangsgestörte haben schon vor Ausbruch der Erkrankung Probleme mit ihrer Umwelt. Sie sind oft unsicher, entscheidungsschwach, haben ein geringes Selbstwertgefühl und Angst vor Ablehnung durch andere …
     
    Ob Valeska unter Zwangsgedanken gelitten hatte?
     
    Für den Patienten sind Zwangsgedanken belastender als die Zwangshandlung, die instrumentalisiert zur Neutralisierung der Zwangsgedanken eingesetzt wird. Dabei übernimmt die kognitive …
     
    Ob sie diese Gedanken mit bestimmten Ritualen verbannt hatte? Nachdenklich legte Sara die Blätter auf den Tisch zurück. Bilder von Valeska tauchten vor ihren Augen auf. Nein, sie wirkte zu selbstsicher. Wahrscheinlich war das einfach nur eine von mehreren Hausarbeiten, die sie schreiben musste. Dennoch hatte Sara den Verdacht, dass Valeska das Thema nicht ohne Grund gewählt hatte.
    Ihr Blick blieb an einem zerrissenen Foto hängen. Die Schnipsel des Fotos sahen aus, als hätte jemand das Bild zerrissen und dann über den Tisch verteilt. Sie sammelte die einzelnen Stücke zusammen und fügte sie wieder zu einem Ganzen. Es war ein Hochzeitsfoto, Valeska mit Brautstrauß in einem hellen Sommerkleid und längeren Haaren, er mit Schnauzbart im dunklen Anzug. Im unteren Teil hatte jemand auf die glänzende Oberfläche gekritzelt.
    Der Mann kam ihr bekannt vor. Sara kniff ihre Augen zusammen und betrachtete konzentriert das Bild. Konnte das der Typ von gestern Abend sein? Nur mit Schnauzbart? Sie schauderte, aber es gelang

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