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Ich soll nicht töten

Ich soll nicht töten

Titel: Ich soll nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Lyga
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Tag.
    Nein, befürchten war das falsche Wort. Er war überzeugt davon.
    Er war überzeugt davon, weil er Billys Stimme in letzter Zeit zu häufig in seinem Kopf gehört hatte. Es nahm mit der Zeit zu, als würde die Stimme in seinem Kopf umso stärker werden, je länger Billy im Gefängnis blieb. Und er war überzeugt, dass Billy ihm aus dem Spiegel entgegenstarren würde, weil er praktisch ohne jeden Beweis nicht anders konnte, als einen weiteren Serienmörder in Lobo’s Nod am Werk zu sehen.
    Was war das Gegenteil von Linkage Blindness? Wie bezeichnete man es, wenn man ohne jeden Beweis von etwas überzeugt war?
    Als Jazz ins Bett sank, kam ihm die Erkenntnis: Der Ausdruck lautete Glaube.
    Schöner Gegenstand für meinen Glauben, dachte er, ehe er einschlief.
    Da war ein Messer, in seinem Schlaf.
    Ein Messer in einer Spüle.
    Es war immer ein Messer in einer Spüle.
    Und eine Stimme.
    Und eine Hand.
    Eine Hand an dem Messer.
    Manchmal dachte er…
    Nein…
    …er dachte…
    …nein, nein, nein, komm nicht auf die Idee und…
    Leicht, vernahm er eine Stimme. So leicht. Wie wenn man ein Hähnchen schneidet.
    Und eine andere Stimme:
    Nein…
    Es ist gut. Es ist gut. Ich will …
    Und manchmal glaubte er…
    Nein…
    Ein Messer.
    Jazz schreckte aus dem Schlaf hoch, als hätte er einen elektrischen Schlag erhalten, atemlos und zitternd. Er sah auf die Uhr; seit er ins Bett gesunken war, war nicht mehr als eine Stunde vergangen. Dennoch war er hellwach, und sein Verstand arbeitete fieberhaft. Das war lächerlich. Er brauchte Schlaf. Er musste am Morgen in die Schule.
    Der Traum. Der Traum. Das Messer. Und dann die Stimmen. Und dann die anderen Dinge… Wenigstens war er dieses Mal aufgewacht, bevor…
    Jazz warf sich im Bett hin und her und versuchte, sich zum Schlafen zu zwingen, aber es ging nicht. Bilder der unbekannten Toten trieben vor seinem geistigen Auge vorbei, und Billy flüsterte in sein Ohr. Suggestiv. Hartnäckig. Mahnend. Menschen zählen. Menschen sind echt. Ich werde niemals töten, sagte sich Jazz ein ums andere Mal, sein Versprechen an sich selbst. Er hatte es einmal zu seinem Vater gesagt, nur einmal, und Billy hatte gelacht und gesagt: Glaub es ruhig weiter, Jasper. Wenn du es brauchst, um ruhig schlafen zu können, dann glaub es ruhig weiter. Billy war sich sehr sicher, dass Jazz eines Tages in seine Fußstapfen treten würde.
    Etwas im Zusammenhang mit der unbekannten Toten irritierte ihn. War es etwas, das im Bericht gestanden hatte? Nein, der Bericht war wertlos. G. William hatte recht– er hätte noch etwa einen Tag warten sollen, bis weitere Informationen verfügbar waren. Von der vollständigen Autopsie. Von den Fingerabdrücken.
    Er wälzte sich herum, boxte in das Kissen und fluchte leise. Wie idiotisch von ihm, heute Nacht in das Leichenschauhaus einzubrechen. Noch ein Tag– höchstens zwei–, und der komplette Autopsiebericht wäre ihm zur Verfügung gestanden. Noch ein bisschen Zeit, und er hätte alle Informationen besessen, die die Polizei auch hatte.
    Aber nein. Er musste ungeduldig sein. Er musste es überstürzen. Dumm. Der Fehler eines dummen Jungen. Und jetzt würde er natürlich nicht noch einmal hineinkommen; G. William hatte sicherlich umgehend die Schlösser austauschen lassen und würde die neuen Schlüssel sorgfältig bewachen. Jazz würde diesen endgültigen Bericht nie zu sehen bekommen, und er hatte es sich nur selbst zuzuschreiben. Wenn er hier wirklich etwas ausrichten wollte, dann durfte er keine dummen Fehler mehr machen.
    Würde der richtige Name der Toten einen zusätzlichen Hinweis liefern? Es war nicht der Name selbst, der zählte– der diente nur zur Identifikation. Aber ein Name dreht sich um eine Person und ihre Beziehungen. Jane Doe war nicht wichtig, weil sie war, wer sie war. Klassische Viktimologie: Es ging nicht darum, was sie zu sein schien. Es ging nicht einmal darum, was sie wirklich war. Sondern es ging darum, was sie für ihn, den Mörder darstellte oder symbolisierte.
    Und der Mörder war natürlich ein Mann. Das waren die meisten Serienmörder. Die meisten Mörder überhaupt, keine Frage. Und wenn das Opfer eine junge, attraktive Frau ist und nackt aufgefunden wird… Außerdem musste man den Fundort ins Kalkül ziehen– es gab nirgendwo Reifenspuren in der Nähe der Leiche, und das hieß, der Mörder hatte sie getragen. Wenige Frauen haben auf Dauer die Kraft, so etwas zu tun, selbst bei einer so kleinen Person wie Jane Doe, und es gab keine

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