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Ich soll nicht töten

Ich soll nicht töten

Titel: Ich soll nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Lyga
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Schleifspuren.
    Ein Mann also. Wahrscheinlich in den Dreißigern oder älter, weil der Kerl– davon war Jazz überzeugt– es nicht zum ersten Mal getan hatte. Weiß– Serientäter neigten dazu, in ihrer eigenen ethnischen Gruppe zu jagen– auf die Pirsch zu gehen, in Billys Diktion. Er war vermutlich intelligent.
    Jazz seufzte. Alter, Rasse und Intelligenz waren verhältnismäßig einfach vorherzusagen. Beim Motiv war dies schon schwerer.
    Er würde morgen zu dem Feld fahren, auf alle Fälle. Er würde schauen, was die Polizei übersehen hatte. Denn er wusste, sie mussten etwas übersehen haben. Er konnte es fühlen.
    Schon wieder eine Glaubenssache. Sein Glaube reichte wahrscheinlich für ein ganzes Priesterseminar. Was er brauchte, waren Beweise.
    Er ging in Gedanken den Bericht durch und alles, was er am Fundort gesehen hatte. Er spielte den Anblick der verstümmelten Hand im Leichenschauhaus durch, bis sich der Schlaf endlich von hinten anschlich, einen Arm um ihn schlang und ihn forttrug, dieses Mal ohne Träume.

6
    Der Impressionist– so der Name, den er unter drei ganz guten Vorschlägen für sich ausgewählt hatte– stand gegenüber von Jazz’ Haus auf der anderen Straßenseite und blickte zu dem dunklen Schlafzimmerfenster des Jungen hinauf. Er überlegte, wie Billy Dents Sohn nachts wohl schlief. Träumte Jasper Dent von Leichen und Blut, oder war er wie jeder andere Junge in seinem Alter und träumte von Mädchen, Autos und der Zukunft?
    Der Impressionist war der Leiche zur Polizeistation beziehungsweise dem Leichenschauhaus gefolgt. Es gab keinen besonderen Grund dafür, keinen inneren Zwang. Aber wenn man so intim mit jemandem zusammen gewesen war, wenn man das Licht in ihren Augen glimmen und dann verlöschen gesehen, den leisen Seufzer ihres letzten Atemzugs gehört hatte… Manchmal war es schwer loszulassen. Deshalb hatte er an der Ecke geparkt und zugeschaut, wie der schrottreife alte Kombi auf den Parkplatz gefahren war.
    Und zu seinem Erstaunen hatte er ausgerechnet Billy Dents Jeep auf dem Parkplatz entdeckt, der dort stand wie jedes andere Auto auch. Der Impressionist kannte den Wagen aus einer Folge von 60 Minutes. Oder einer anderen Fernsehserie– er brachte sie immer durcheinander. Es spielte keine Rolle. Worauf es ankam, war, dass es eindeutig Billy Dents Wagen war, und das hieß, der Junge, der kurz darauf aus der Polizeistation kam und gegen die Stoßstange trat, konnte niemand anderer als Jasper Dent sein.
    Der Impressionist war ihm gefolgt, am Abend zum Leichenschauhaus und jetzt hierher.
    Die Straße, in der Jazz mit seiner Großmutter wohnte, war nur dem Namen nach eine Straße; es war eher eine lange Zufahrt zu einem großen, bizarren Pseudo-Herrenhaus eine halbe Meile weiter, eine Piste aus rissigem Beton und losen Steinen. Das Dent-Haus, ein windschiefes, sanierungsbedürftiges Kolonialgebäude, stand wie ein nachträglicher Einfall an dieser Zufahrt, auf halber Strecke zwischen dieser Möchtegern-Villa und der Hauptstraße. Alles an dem Haus sagte: » Ach ja, richtig, jetzt fällt es mir wieder ein…« Als würde das Haus selbst sich langsam vergessen. Wenn man es nicht wusste, hätte man nie vermutet, dass es das Epizentrum von Billy Dents jahrzehntelangem Wirken war, mit dem er Amerika gequält hatte. Doch in diesen bescheidenen Wänden war ein Vermächtnis entstanden. Hier war Billy Dent aufgewachsen, und jetzt wohnte sein Sohn hier, das Haus und das Vermächtnis waren wie ein Staffelstab weitergegeben worden. Ein schlichtes Haus, heruntergekommen und unauffällig. Genau hier, mitten im mittleren Amerika, war die Hölle zur Welt gekommen, gesäugt worden und herangereift.
    Der Impressionist grinste.
    Die größte Fähigkeit eines Serienmörders ist die, nicht aufzufallen. Genau wie dieses Haus. Niemand, der vorbeifuhr, würde erraten, was darin nun heranwuchs. Billy Dent war perfekt unauffällig gewesen, hatte Freunde, Nachbarn und Bekannte davon überzeugt, » ein Typ wie jeder andere« zu sein. Grillabende im Sommer. Trainer eines Baseballteams in der Little League für drei Jahre. Freiwilliger Dienst als Fahrer des FoodMobil an bestimmten Wochenenden. Und niemand wusste Bescheid. Niemand ahnte etwas. Diese Idioten.
    Nein. Nicht Idioten.
    Kandidaten.
    Der Impressionist fiel ebenfalls nicht auf. Die tote Frau auf dem Feld hatte keinen Verdacht geschöpft, als er sie in dem Dairy Queen am Highway außerhalb von Lobo’s Nod angesprochen hatte. Spätabends, ein

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