Ich soll nicht töten
steigen dürfen.
Irgendwo ein Stück weiter in der Straße bellte ein Hund. Jazz dachte an Rusty. Na toll. Eine Begegnung mit Doug Weathers, und jetzt dachte er auch noch an Rusty. Das würde ein übler Tag werden.
Und tatsächlich war die Schule eine Qual.
Jazz wollte nichts als zu dem Feld hinausfahren. Mit jeder Stunde, die verging– mit jeder Minute, die verging–, kehrte es zu seinem natürlichen Zustand zurück und verlor alle verbliebenen Spuren. Wenn Howie in der Nacht nicht die Nerven verloren hätte…
Sinnlos, jetzt darüber nachzudenken. Er wollte dort draußen herumstöbern, idealerweise in den Stunden vor Sonnenaufgang. Das Feld so sehen, wie es der Mörder gesehen hatte.
Aber die Schule nahm kein Ende.
Jazz mochte die Schule nicht, aber nicht aus den für Teenager üblichen Gründen. Er mochte sie aus dem gleichen Grund nicht, aus dem er generell keine Situationen mochte, in denen er von Menschen umgeben war.
» Es ist so«, hatte er es Connie einmal erklärt. » Wenn dir jemand eine einzelne Rose schenkt, freust du dich, oder?«
Sie waren beim Park in Jazz’ Jeep gesessen. Connie hatte verwirrt getan, in das Handschuhfach geschaut und sich den Hals verrenkt, um auf den Rücksitz zu blicken. » Ich sehe keine Rose. Keine Freude hier.«
» Okay«, fuhr er fort. » Jetzt stell dir vor, jemand schenkt dir zehntausend Rosen.«
» Das sind eine Menge«, sagte sie. » Das ist zu viel.«
» Richtig. Zu viel. Aber darüber hinaus macht es jede einzelne Rose sehr viel weniger besonders, oder? Ich meine, es ist schwer, eine herauszupicken und zu sagen: › Das ist die gute Rose.‹ Und man will alle nur noch loswerden, weil keine mehr nach etwas Besonderem aussieht.«
Connie hatte die Augen zusammengekniffen. » Soll das heißen, wenn du in der Schule bist, willst du alle andern einfach nur loswerden?«
Das war es nicht. Jazz wünschte, er könnte es erklären. Es ging nicht darum, dass er Menschen töten wollte. Es war einfach so, wenn es so viele von ihnen gab, schienen sie dann nicht, nun ja, entbehrlich zu sein? Würde es bei fünfzehnhundert Schülern in Lobo’s Nod High wirklich jemand merken, wenn ein paar fehlten? Je mehr Leute um ihn waren, desto unpersönlicher wurden sie. Desto weniger real.
Menschen zählen. Es war eine harte Lektion; es war das Gegenteil dessen, was Billy Jazz beigebracht hatte. Alle diese Leute, die du siehst, sagte Billy bei einem Ballspiel oder im Park, im Kino oder im Einkaufszentrum, alle diese Leute sind nicht real. Sie leben nicht wirklich. Sie haben kein Herz. Sie zählen nicht. Nur du zählst.
» Viele Leute hatten eine beschissene Kindheit«, hatte Connie gesagt. » Manche wuchsen sogar genauso auf wie ein Serienmörder, aber sie wurden nicht zum Serienmörder. Es ist nicht so, als gäbe es ein Handbuch, dem man folgen und sein Kind dazu erziehen könnte, Menschen zu töten.«
» Falls jemand weiß, wie man einen Soziopathen produziert, dann Billy«, hatte Jazz erwidert.
» Aber du willst nicht töten«, hatte sie gesagt und sehr endgültig geklungen.
Jazz hatte die Unterhaltung an diesem Punkt enden lassen. Denn seine einzige ehrliche Antwort hätte gelautet: Es geht nicht darum, was ich will oder nicht will. Es ist nur so … Ich kann es. Ich könnte. Es ist wie … Ich stelle es mir vor, so, als wenn man ein großartiger Läufer wäre. Wenn du wüsstest, du kannst richtig schnell laufen, würdest du es nicht tun? Wenn du gezwungen wärst, immer nur langsam zu gehen, würdest du nicht einfach losrennen wollen wie der Teufel? Genauso fühle ich mich.
Aber er hatte nichts davon gesagt und das Thema fallen lassen, und dann hatte er Connie am nächsten Tag ein Dutzend rote Rosen geschickt mit einer seltenen blauen Rose in der Mitte des Straußes; eine Ausgabe, die ihn schmerzte, aber er hatte das Gefühl, dass es sein musste. Auf der Karte stand: » Du wirst immer meine besondere Rose sein.« Er wusste nicht, ob es romantisch oder wahnsinnig verlogen war– er vermutete Letzteres–, aber Connie war hingerissen, und da der ganze Sinn der Geste darin bestand, sie glücklich zu machen, verbuchte Jazz es als Gewinn.
Manchmal simulierte seine Programmierung menschliche Emotionen ziemlich gut. Und manchmal redete er sich ein, dass es überhaupt keine Programmierung war.
An Montagen hatte er zwischen Mathematik und Biologie fünf Minuten Zeit, in denen sein Stundenplan mit dem von Connie übereinstimmte. Sie trafen sich nun wie jeden Montag vor dem Raum
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