Ich soll nicht töten
Vorstellung, dass ein Impuls auch mal in die andere Richtung gehen kann. Dass es möglich ist, einen Hang zum Guten zu haben.«
G. William schnalzte auf eine Weise mit der Zunge, dass Jazz am liebsten über den Tisch gesprungen wäre und sie ihm herausgerissen hätte. Er war nervös. Man war bei ihm eingedrungen. Er war nicht in der Stimmung, sich von irgendwem herablassend behandeln zu lassen, auch nicht von G. William.
» Du musst loslassen, Jazz. Billy ist Billy. Er ist nicht du. Lass los.«
» Was hat das damit zu tun, dass dieser Typ hier eingebrochen ist?«, brauste Jazz auf.
» Es geht nicht um dich. Lass es nicht persönlich werden.«
» Natürlich geht es um mich! Natürlich ist es persönlich! Er ist in mein Haus gekommen. Er ist in mein Schlafzimmer gegangen. Er hat eine Nachricht an meiner Wand hinterlassen. Es geht nur um mich.«
Der Sheriff sah aus, als wollte er etwas sagen. Zögerte. Überlegte es sich anders und zog sein Smartphone zurate.
» Keine Fingerabdrücke. Keine erkennbaren Fasern, aber wir haben staubgesaugt, was das Zeug hält. Bis wir das sichten können, wird allerdings eine Weile vergehen. Sieht aus, als hätte er das Schloss mit den üblichen Werkzeugen geknackt– wir haben Spuren von Werkzeugen, aber nichts Exotisches oder Interessantes dabei. Und das war’s.«
» Nein. Wir haben jetzt einen Namen für ihn.«
» Der › Impressionist‹.« G. William drückte den Rücken durch und streckte den Bauch vor, als wäre er schwanger. » Mit viel Fantasie nachvollziehbar, würde ich sagen.«
» Sie müssen ihn finden, G. William. Ihn oder sein nächstes Opfer. I. H.«
» Ich lasse bereits eine Liste aller Hotels, Motels, Gasthäuser und Bed & Breakfasts im Umkreis von zwanzig Meilen erstellen. Er wird kein fünftes Opfer kriegen, Jazz, das verspreche ich dir.«
Jazz wünschte, er könnte es glauben. Der Impressionist war ihnen die ganze Zeit einen Schritt voraus gewesen, auch als sie sein Muster bereits kannten. Sie übersahen etwas, davon war Jazz überzeugt. Etwas, das dieser Impressionist getan hatte oder noch tun würde und das alle ihre Vorkehrungen hinfällig machte.
» Du solltest heute nicht in die Schule gehen, sondern zu Hause bleiben. Schlaf dich aus.«
» Sie brauchen auch Schlaf, Boss«, sagte Jazz. G. Williams Augen trugen so viel Gepäck, wie es Howies im Krankenhaus getan hatten. Gott, Howie! Das schien so lange her zu sein, aber es war erst vor ein paar Stunden passiert.
» Ich werde im Büro ein Nickerchen machen. Ich lasse einen Streifenwagen vor dem Haus, damit…«
» O nein.« Jazz stöhnte und ließ den Kopf in die Hände sinken. » Bitte nicht. Die Leute behandeln dieses Haus sowieso schon, als ob… als wäre es über einer indianischen Grabstätte errichtet worden. Wenn Sie einen Wagen da draußen parken, denken alle, ich hätte etwas angestellt. › Dieser verrückte Dent-Junge‹…«
» Der Kerl ist einmal hierhergekommen, er kann wieder kommen.« G. Williams Tonfall ließ keinen Spielraum für Widerspruch. » Ich lasse ihn nicht kommen und gehen, wie es ihm gefällt. Vielleicht ist es ein Spiel für ihn, aber für mich ist es keins. Verstanden?«
Ehe Jazz etwas antworten konnte, hörte er, wie die Tür aufging und ein Paar wohlbekannte hochhackige Schuhe über die Dielen im Flur klackerten. Wer könnte…?
Jazz warf einen Blick zu G. Williams, der unschuldig tat, als Melissas Stimme erklang. » Jasper? Jasper, wo bist du?«
» Sie haben sie angerufen?«
» Deiner Großmutter geht es schlechter.«
» Sie war immer ein bisschen…«
» Ja, eben, sie war immer ein bisschen. Aber jetzt ist sie ein bisschen sehr.«
» Sie glauben wirklich, dass ich in fremde Obhut gehöre?«
» Das ist nicht meine Entscheidung. Sondern Melissas.«
Sie sahen sich einen Moment lang schweigend an, bis Melissa erneut rief.
» Wir sind in der Küche«, antwortete G. William.
Einen Augenblick später kam Melissa herein, nickte dem Sheriff zu, der sich wie ein Kavalier an den Hut tippte, und stellte ihre Aktentasche auf den Tisch. Trotz der frühen Morgenstunde trug sie ein streng professionelles Kostüm und hatte Make-up aufgelegt. Ihre ganz persönliche Version eines Schutzpanzers.
» Kann man vernünftig mit dir reden?«, fragte sie Jazz.
Jazz war zu müde für die üblichen Machtspielchen und zuckte nur mit den Achseln.
Melissa presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Sie wollte, dass er reagierte. Sie brauchte seine Reaktion. Er verweigerte
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