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Ich soll nicht töten

Ich soll nicht töten

Titel: Ich soll nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Lyga
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wollt, dann nicht mit einem… mit einem Ding. Darum geht es nicht im Leben. Es geht nicht umdie Dinge, die wir besitzen. Wenn man jemanden ehren will, dann tut man es nicht mit Dingen. Sondern mit Taten.«
    Sie starrten ihn immer noch an, aber aus ihren Gesichtern sprach jetzt nicht mehr Verwunderung, sondern Neugier.
    Er erzählte ihnen von seiner Idee.
    Am Abend, bei Sonnenuntergang fand auf dem Fußballplatz der Schule eine Kerzenwache statt. Connie bestand darauf, dass Jazz teilnahm, obwohl die Teilnahme an einer Trauerfeier für ein Leben, das er nicht hatte schützen können, das Letzte war, wonach ihm der Sinn stand. Es kam ihm irgendwie makaber und scheinheilig vor.
    » Sie sehen mich alle an«, flüsterte er Connie zu, als sie sich in der Menge wiederfanden. Ringsum schien sich praktisch die ganze Schule zu versammeln, nahezu schweigend nahm jeder seinen Platz ein. Und es waren nicht nur Jugendliche da– die halbe Stadt war zu der Totenwache herausgekommen. » Hast du es nicht bemerkt?«
    » Niemand schaut.«
    » Doch.«
    » Weil sie wissen, dass du versucht hast, sie zu retten. Weil sie wissen, dass du sie gefunden hast.«
    » Sie geben mir die Schuld.«
    » Niemand gibt dir die Schuld.«
    Sie sollten es tun, sagte er nicht.
    » Deine Idee war hervorragend«, meinte sie und schmiegte sich an ihn. » Ich bin so stolz auf dich.«
    » Es wird eine Menge Arbeit werden«, warnte er. » Erst mal sehen, ob wir es schaffen.«
    » Wir schaffen es. Ich weiß, dass… Oh, es geht los.«
    Die Totenwache begann damit, dass Direktor Jeffries ein paar Bemerkungen darüber machte, wie er Ginny angestellt hatte, dass es ihm als Risiko erschienen war, diese junge, dynamische Lehrerin, frisch von der Uni, mit allen möglichen verrückten Ideen über den Lehrberuf. Am Ende jedoch, behauptete er, hätte das wahre Risiko darin bestanden, sie nicht anzustellen…
    Er schwafelte immer weiter. Jazz fragte sich, wozu das Ganze gut sein sollte. Sollte es einem besser gehen, da Ginny tot war, wenn man hörte, wie wundervoll sie gewesen war? Das ergab keinen Sinn.
    Ringsum weinten Kinder und Erwachsene gleichermaßen.
    Direktor Jeffries gab das Rednerpult für alle frei, die etwas sagen wollten. Einige Schüler murmelten etwas ins Mikrofon. Eine Studienfreundin von Ginny sagte ein paar Worte.
    Und dann stand zu Jazz’ Überraschung plötzlich Jeff Fulton am Pult.
    » Es tut mir leid. Ich störe hoffentlich die Trauer Ihrer Stadt nicht. Aber ich habe ein klein wenig das Gefühl, als hätte mich Gott vielleicht zu diesem Zweck hierher geführt. Vor einigen Jahren hat nämlich ein Mann aus Lobo’s Nod meine Tochter Harriet getötet.« Fulton nannte Billy nicht beim Namen; es war nicht nötig. » Und als ich nun beruflich nicht weit von Ihrer Stadt zu tun hatte, dachte ich, ich müsste herkommen, um den Ort zu sehen, wo der Mörder meines Kindes gewohnt hatte. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht hoffte ich auf eine Art Schlussstrich.« Er lachte wehmütig auf. »› Schlussstrich.‹ Davon ist gern die Rede, nicht wahr? Ich bin auf der Suche danach hierhergekommen und habe begriffen, dass ich ihn die ganze Zeit in mir trug. Ich kann dem Mann, der meine Tochter getötet hat, nicht vergeben, aber ich kann aufhören, mein Leben von ihm bestimmen zu lassen. Ich kann weitergehen. Und genau das muss ich tun. Und das will ich Ihnen allen sagen. Ihnen und Ihnen und Ihnen.« Er zeigte in die Menge. » Wir Menschen haben die Fähigkeit, einander schreckliche Dinge anzutun. Aber wir haben auch die Fähigkeit, diese Schrecken zu überleben.
    Ich hatte nicht das Glück, Ihre Ms. Davis zu kennen. Aber wenn ich höre, was hier über sie gesagt wird, stelle ich mir gern vor…« Er zögerte, und für einen Augenblick schien es, als könnte er einfach vom Mikrofon wegtreten. Stattdessen umklammerte er das Pult mit beiden Händen und fuhr fort. » Ich stelle mir gern vor, dass sie vielleicht mit meiner Harriet befreundet gewesen wäre.« Tränen strömten über Fultons Gesicht, und seine Stimme drohte zu versagen. » Und deshalb haben sie jetzt vielleicht beide eine neue Freundin im Himmel. Danke. Ich danke Ihnen allen.«
    Fulton taumelte unter Beifall vom Podium. Connies Wangen waren feucht, und sie hielt Jazz’ Hand umklammert, als Redner auf Redner die Vorzüge von Virginia Davis zu ihren Lebzeiten pries. Jazz bemühte sich mitzufühlen, aber die Wahrheit war, dass das Weinen und Klagen ihn gefühllos machte. Weinen, so viel wusste er, war sinnlos.

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