Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich soll nicht töten

Ich soll nicht töten

Titel: Ich soll nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Lyga
Vom Netzwerk:
schmeckte leicht muffig. Nicht so, dass man es sofort bemerkte, aber genug, dass der Eindruck mit jedem Bissen stärker wurde. » Wie war es heute in der Schule?«
    Sie antwortete nicht sofort, sondern saugte erst an ihrem Strohhalm. » Hart. Ein paar Leute hatten die Nachricht über Ginny am Morgen im Internet gesehen, und bis zur ersten Stunde hatte es sich allgemein herumgesprochen. Aber die Einzelheiten waren total verdreht, und die Leute plapperten einfach irgendwas nach. Manche waren sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt stimmte, bis sie es über Lautsprecher durchsagten. Es wurde viel geweint, und es war einfach furchtbar, Jazz. Wirklich furchtbar.«
    Sie legte eine Hand auf den Tisch zwischen ihnen. Jazz starrte die Hand einen Moment lang an, bis er begriff, dass er sie halten sollte. Er drückte sie.
    » Alle Beteiligten an der Hexenjagd haben sich in der Mittagspause versammelt. Wir haben überlegt, was wir tun könnten. Zum Beispiel eine Gedenkfeier, verstehst du?« Sie wischte sich neue Tränen fort, die ihr in die Augen stiegen. » Wir wollen einfach irgendetwas tun.«
    Eine Gedenkfeier. Bei der Vorstellung wurde Jazz leicht unbehaglich zumute. Es war nicht dasselbe wie die Trophäen eines Serienmörders, nicht ganz dasselbe wie die Dinge, die Billy seinen Opfern abgenommen hatte. Aber es kam ihm nahe. Ein Zeichen für die Toten zu setzen kam ihm so rührselig vor. So zwanghaft. Aber man tat es eben, man setzte ein Zeichen für die Toten.
    » Denkt euch etwas aus«, sagte er. » Ihr alle zusammen.«
    » Und du«, sagte sie. » Du gehörst auch zur Truppe. Niemand weiß, dass du dort warst«, fügte sie rasch an, da sie wusste, was er sagen wollte. » Niemand weiß, dass du gesehen hast, wie sie starb.«
    » Sie werden es erfahren.« Es würde etwas im Internet geben und irgendwann auch im Fernsehen, mit weiteren Details über den Mord an einer jungen, hübschen, beliebten Lehrerin. Es würde heißen, dass Augenzeugen den fliehenden Mörder gesehen hatten. Dass einer von ihnen verletzt sei. Und Howie lag im Krankenhaus, und die Bewohner von Lobo’s Nod konnten zwei und zwei zusammenzählen.
    » Können wir gehen?«, fragte er. Ein Kopfschmerz stellte die zarten Nerven in seiner rechten Schläfe auf die Probe.
    » Du hast dein Sandwich kaum angerührt.«
    » Lass es.« Er warf ein paar Scheine auf den Tisch. » Gehen wir.«
    Gramma machte ihr scheußliches Verhalten von zuvor wieder gut. Als Jazz nach Hause kam, war sie auf dem Boden vor dem Fernseher eingeschlafen und schnarchte leise vor sich hin. Der Teddybär diente ihr als Kopfkissen.
    Wie um alles in der Welt, fragte er sich, konnte eine so friedlich und zufrieden aussehende Frau so ein wahnsinniges Monster sein? Wie konnte sie so etwas wie das reine Böse zur Welt bringen, es säugen und zu seiner ganz eigenen, grotesken Form von Perfektion aufziehen?
    Da er nicht die Kraft aufbrachte, sie nach oben zu tragen, ließ er sie auf dem Boden liegen. Der Streifenwagen parkte immer noch vor dem Haus– ein weiteres Detail, das sicherlich bald in die lokale Gerüchtedatenbank eingespeist wurde–, aber er überprüfte Haustür, Küchentür und alle Fenster doppelt, ehe er sich in sein Zimmer hinaufschleppte. Inzwischen schlug der Kopfschmerz mit aller Gewalt zu; es war so schlimm, dass er den Kopf nicht gerade halten konnte.
    Nichtsdestoweniger hatte er noch etwas zu erledigen. Das Wochenende stand vor der Tür. Melissa würde ihren Bericht am Montag abliefern, und er musste seinen Widerspruch dazu formulieren. Wenn er in dem Haus bleiben wollte, durfte ihr Bericht nicht lange unwidersprochen bleiben.
    Denk an Bobby Joe Long, lief über seinen Bildschirm.
    » Bist du dir sicher, dass du wirklich in dem Haus bleiben willst?«, murmelte er für sich, als er sich an seinen Schreibtisch fläzte. Der Computermonitor war so grell, dass er nicht direkt hineinschauen konnte. » Eine Pflegefamilie könnte wie Urlaub sein. Samanthas Haus könnte eine Wohltat sein.«
    Es war verlockend, es so zu sehen, aber er wusste, wenn er erst einmal raus war aus dem Haus und im Sozialsystem gelandet war, gab es kein Zurück mehr. Er hatte dem Sozialdienst weisgemacht, dass seine Großmutter sich in den letzten vier Jahren um ihn gekümmert hatte, obwohl es eher andersherum gewesen war. Und seine Tante Samantha kannte er nicht einmal. Es gab keine Garantie dafür, dass sie ihn überhaupt aufnehmen wollte. Jetzt musste er einen Weg finden, die Angelegenheit zumindest zu

Weitere Kostenlose Bücher