Ich Stell Mein Herz Auf Sommerzeit
man sie nicht zwingen, bei Verlassen ihres Zimmers die Lampen auszuknipsen.
Hätte man logische Wesen gewollt, so hätte man Collies züchten müssen.
Die Jahre elterlicher Einfalt liegen nun hinter uns. Unser Sohn spielt täglich vier Stunden Basketball. Seine Beinmuskeln sahen aus wie eine Reliefkarte von Brasilien. Hundertmal am Tag trugen ihn diese Beine über den Boden der Turnhalle hin und her. Doch die Gehmuskeln, die ihn befähigt hätten, zu Fuß nach Hause zu gehen, hat er bis heute nicht entwickelt.
Ein anderes meiner Kinder quasselte so lange am Telefon, daß wir uns zu dem sechzehnten Geburtstag dieser Tochter alle zusammentaten, um ihr eine Zungentransplantation zu ermöglichen. Das kurze Wörtchen DANKE aber hätte sie nicht herausgebracht, und wenn man ihr das gesamte Lager eines Modehauses geschenkt hätte.
Um Teenager zu verstehen, muß man sich mit ihrer Anatomie vertraut machen. Bei ihnen arbeiten nie zwei Dinge gleichzeitig.
Am Vorabend ihres achtzehnten Geburtstages verkrampfen sich die Finger in der Vorfreude, binnen Stunden mit den Wagenschlüsseln klimpern zu können. Doch dieselben Finger können kein Handtuch wieder auf den Haken hängen.
Augen, die mit der durchdringenden Schärfe von Röntgenstrahlen eine in Alu-Folie verpackte Torte ganz hinten im Kühlschrank erkennen, sehen nicht, daß sich der Hund fast unter der Tür durchgräbt, weil er ganz dringend Gassi gehen muß.
Ist ein Teenager erst einmal siebzehn, so lassen seine Funktionen stark nach. Er hat das Gehör verloren – zumindest für die menschliche Stimme. Er scheint auch niemanden mehr zu erkennen. Die Muskeln seines ganzen Körpers sind eine einzige träge Masse.
Eines aber arbeitet noch: das Gehirn. Es entwickelt sich rasch bis zur Reife eines Fünfunddreißigjährigen und bleibt dann so stehen, bis er wirklich fünfunddreißig ist. Dann sinkt es langsam wieder auf das Alter von siebzehn ab.
Verhaltensänderungen
Es ist schon sonderbar, wie sehr sich unser Verhalten gegenüber unseren Kindern innerhalb weniger kümmerlicher Jahre verändert.
Es hat einmal eine Zeit gegeben, da nahm ich das Stück Pappe aus dem frischgereinigten Oberhemd meines Mannes, zog eine Schnur durch und hängte es meinem Sohn um den Hals. Darauf stand: BITTE NICHT FÜTTERN! Mein Sohn glich einem Abfallsammler, der mit offenem Mund die Straße auf und ab ging. Müllwagen waren in unserem Viertel, verglichen mit ihm, eine bedrohte Spezies.
Was gäbe ich heute darum, wenn ihm jemand etwas zu futtern gäbe: Plätzchen, Wachskerzen, Eis … was Sie wollen, um seinen Appetit aufs Mittagessen ein wenig zu entschärfen.
Und wissen Sie noch, wie das war, als man so gern sagte: Ach bitte, sprich doch mit mir?
Ich konnte es kaum erwarten, daß mein Kind sprechen lernte. Ich saß vor ihm und lauschte begierig, ob nicht etwas Verständliches aus seinem Mund kam – ich deutete jede Luftblase.
Die ganze Kinderzeit, das ganze Teenageralter hindurch bettelte ich: »Sprich mit mir, ich bin doch deine Mutter.«
Aber wissen Sie, wann er angefangen hat zu reden? Als er in den Nachbarstaat gezogen war und es für die erste Telefonminute 48 Cent, für jede weitere 33 Cent plus Steuer kostete. Vorige Woche haben wir ein halbes Vermögen dafür ausgegeben, ihn berichten zu hören, wie sein weißer Pullover in der Wäsche eingelaufen ist.
Ich könnte mir die Zunge abbeißen, wenn ich heute daran denke, aber es hat einmal eine Zeit gegeben, da sagte ich zu meiner Tochter: »Komm, zieh das schöne Sonntagskleidchen aus und irgendwelches altes Zeug an, wenn du spielen gehst.«
Was gäbe ich heute darum, um zu sehen, daß sie überhaupt noch Beine hat!
Die Erinnerung schmerzt, aber ich habe jahrelang nach dem Motto gelebt: »Man kann ein Kind ans Wasser zwingen, zum Waschen zwingen kann man es nicht.« Hätte ich nur einen Groschen für jedesmal, als ich eigenhändig die Dusche aufdrehte, die Badewanne einließ, das Shampoo abmaß und sie physisch bedrohte, wenn sie nicht Wasser und Seife benutzten. Das war nämlich, ehe die Schaumbäder in Mode kamen. Heutzutage ist Baden unter Teenagern eine Religion. Der Heißwasserboiler ist ihr Altar und fettiges Haar das Allerhinterletzte.
Am stärksten verändert aber hat sich das Verhalten der Großeltern. Solang die Kinder klein sind, stehen sie Schlange, um bei ihnen zu babysitten. Nach etwa achtzehn Monaten läßt das stark nach, weil inzwischen auch sie festgestellt haben, daß die lieben Kleinen überall
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