Ich Stell Mein Herz Auf Sommerzeit
immer ganz deprimiert, wenn ein Tennisspieler zum Schiedsrichter sagt: »Wieso sind Sie denn so vergnügt? Schließlich sind Sie doch daran schuld, daß mir zwei Punkte fehlen.«)
Wenn es nicht zuviel Mühe macht: Ich hätte gern einen Sport, bei dem kein Unfallwagen mit zwei gelangweilten Bahrenträgern darauf wartet, daß etwas passiert. Gibt es denn nichts, bei dem man sich mit Sicherheit keine Wasserblase zuzieht? Mir kommen ernstliche Bedenken bei der Art, wie man bei uns Sport treibt. Ja, ich weiß, gelegentlich sieht man auch Sportler, die nach einem Spiel bei einer Dose kaltem Bier miteinander lachen, nach einem 20-Meter-Kugelstoß einen Purzelbaum schlagen, nach einem gelungenen Schmetterball über das Netz setzen, oder in der Zielgeraden einen kleinen Indianertanz aufführen. Aber alle tun sie es nur, weil es vorbei ist.
Erst wenn es beim Sport selbst auch so fröhlich zugeht, mache ich mit.
Danke!
Einer meiner immer wiederkehrenden Alpträume ist der, in dem mein Sohn den Nobelpreis für Naturwissenschaften bekommt. Wenn der Preis überreicht ist, dreht er sich um und sieht alle Zuschauer begeistert klatschen. Endlich verstummt der Applaus, und es entsteht eine Stille, die mindestens ein Jahrhundert dauert.
Ich kann es nicht aushalten. Ich krieche auf allen vieren zum Podium, zupfe an seinem Hosenbein und flüstere: »Sag: danke!« Er ist fünfundfünfzig.
Für eine Mutter ist ›danke!‹ der Gipfel der Wohlerzogenheit. Es fördert den Kreislauf, ist schick, überspielt zerrissene Unterwäsche, verknotete Schuhbänder und Hundehaare auf dem Pullover. Es bringt das härteste Gemüt zum Schmelzen, entkrampft den starrsten Benimm-Apostel.
Für ein Kind ist ›danke‹ die Zauberformel, auf die hin die Mutter ihm das Plätzchen überläßt.
Wenn ich so zurückdenke, kommt es mir vor, als hätten meine Kinder immer unter Hypnose gestanden, starr wie ein Hydrant auf der Straße, bis ich den entscheidenden Satz gesprochen hatte: »Wie sagt man denn?« Dann reagierten sie – mit so viel innerer Beteiligung wie die Marionette an der Schnur – und sagten »Danke«.
Nie bekam ich sie soweit, das Wort richtig anzuwenden.
Sie sagten ›danke‹, wenn eine Freundin sie an einer halb aufgegessenen Eiswaffel lecken ließ.
Sie blieben stumm, wenn ihnen ihre Großmutter zum Geburtstag einen Scheck überreichte. Sie sagten ›danke!‹ für eine Scherbe aus dem Glas der Windschutzscheibe, für einen alten Hundezahn; aber sie erstarrten zu einem Dämmerzustand, wenn jemand sie während eines Schneesturms im Auto zur Bücherei mitnahm.
Die Erfahrung mit dem ›danke‹ mag ja ein Symbol für die Sinnlosigkeit allen menschlichen Strebens sein, aber ich kenne keine Mutter auf der ganzen Welt, die in diesem Punkt klein beigäbe. Alle bleiben zäh und beharrlich. Erst kürzlich fragte ich meinen Sohn: »Hast du Frau Biehler eigentlich je für die Plastik-Ente gedankt?«
»Aber Mama, das ist doch dreiundzwanzig Jahre her.«
»Ja, aber sie weiß sicher immer noch nicht, ob sie dir gefallen hat.«
»Hab ich sie nicht damals aufgefressen oder so was?«
»Wahrscheinlich hast du Tante Maria auch nie für den Atlas gedankt, den sie dir zum Abitur geschenkt hat.«
»Wie kommst du plötzlich darauf?«
»Weil ich müde und erschöpft bin und mit der Kindererziehung gern aufhören würde.«
Er nahm den Telefonhörer, wählte und sagte nach einer Weile: »Aha. Ja. Vielen Dank.«
Ich strahlte. »Siehst du, es war gar nicht so schwer, nicht? Mit wem hast du denn gesprochen?«
Er zuckte die Achseln. »Mit einem Anrufbeantworter. Es ist mir so herausgerutscht.«
13. Kleiderkarussell
Niemand auf der Welt verdient größeres Mitgefühl als eine Mutter, deren Kinder zweimal täglich Schichtunterricht haben.
Meine Nachbarin Iris hat das ein ganzes Jahr lang aushalten müssen, und es hätte sie um ein Haar unter die Erde gebracht. Eines Tages gingen wir alle zu ihr hinüber, führten sie buchstäblich mit Gewalt aus ihrem Bügelzimmer ins Wohnzimmer und setzten sie dort auf einen Sessel.
»Wo sind wir hier?« murmelte sie wie betäubt.
»Im Wohnzimmer«, sagten wir sanft.
»Hier war ich noch nie«, sagte sie.
»Doch, doch, natürlich«, sagten wir, »es ist das Zimmer gleich neben der Küche, weißt du's nicht mehr?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nur noch, wie ich vorigen September in den Raum kam, den der Architekt ›Naßzelle‹ nannte. Seitdem bin ich dort. Ich spüle Teller und Töpfe und stapele
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