Ich, Tochter eines Yakuza (German Edition)
erfreut rief:
»Shoko, du bist ja wieder zu Hause!«
Die Musik im Zimmer hörte auf zu spielen und die mechanischen Geräusche der Lungenmaschine übertönten mein Schluchzen.
Einen Tag später, am 28. August 1991 um 8.03 Uhr, starb meine Mutter im Alter von 59 Jahren. Sie schied aus dieser Welt so sanft, wie eine Böe durch die Blätter eines Baumes streicht.
Als wir mit unserer toten Mutter das Krankenhaus verließen, stellten sich alle Schwestern und Pfleger in einer Reihe neben den Direktor und falteten die Hände. Manch einer quetschte sich vor den Augen des Vorgesetzten sogar eine Träne aus den Augen, dabei war meine Mutter ihnen die ganze Zeit völlig gleichgültig gewesen. Was für Schauspieler!
Der Direktor ahnte wahrscheinlich nichts davon, dass sie sich ihren Patienten gegenüber mitleidlos und unsensibel verhielten. Es gibt anscheinend viele Menschen, die problemlos jederzeit zu ihrem eigenen Vorteil ein paar Tränen weinen können, selbst wenn ihnen nichts wehtut und sie nicht traurig sind.
Der Leichenwagen mit dem Sarg fuhr zur Trauerfeier. Das Podest war mit weißen Chrysanthemen geschmückt. Ich hatte den Bestattern ein Foto meiner Mutter gegeben, das Papa von zu Hause mitgebracht hatte. Sie hatten das etwa handtellergroße Bild vergrößert und jetzt lächelte Mama aus einem Fotorahmen mit schwarzem Trauerflor herab.
»Die Damen können sich hier in die Kimonos 39
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helfen lassen.«
Kimono: Es ist eine Kunst, einen Kimono anzuziehen. Da dieses traditionelle Kleidungsstück nicht mehr im Alltag, sondern nur an bestimmten Festtagen getragen wird, brauchen die meisten Frauen Hilfe beim Ankleiden.
Wir Frauen wurden in einen Raum geführt, der dafür vorbereitet worden war.
Seit dem Shichi-Go-San-Fest 40
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hatte ich keinen Kimono mehr getragen. Ich erinnerte mich noch gut daran, dass der Fotograf damals mit dem Finger auf das Objektiv gezeigt und gesagt hatte: »Halt den Kopf etwas höher und schau hierher. Ja, so ist es gut, ich mache jetzt das Foto.«
Shichi-Go-San-Fest: wörtl. »Sieben-Fünf-Drei«, kleine Jungen werden mit drei und fünf Jahren, Mädchen mit drei und sieben Jahren in Kimonos gekleidet zum Tempel gebracht, um dort um Wachstum und Gesundheit zu beten.
Auf dem Bild hatte mein Vater seine Hand von hinten auf meine Schulter gelegt, und ich hielt Mamas Hand in der einen und die Tüte mit den traditionellen Süßigkeiten in der anderen Hand. Das schien eine Ewigkeit her zu sein.
Als ich in das Zimmer geführt wurde, zogen sich dort schon die Schwestern meiner Mutter und andere Verwandte vor dem Spiegel um. Ich bat eine Angestellte flüsternd, ob ich mich vielleicht in einem anderen Raum umkleiden könne.
»Leider haben wir nur ein Ankleidezimmer für Damen«, erwiderte sie überrascht.
»Dann würde ich mich gern erst später umziehen.«
Ich muss ziemlich unglücklich gewirkt haben.
»Aber die Einzige von uns, die sich mit Kimonos auskennt, ist jetzt hier. Es wäre wirklich besser, wenn Sie sich mit den anderen umziehen würden.«
»Ich möchte ungern, dass die anderen meine Tätowierung sehen.«
»Ach so, ich verstehe.«
Die Angestellte flüsterte der Kimono-Ankleiderin mit vorgehaltener Hand leise etwas ins Ohr und erklärte ihr wohl die besonderen Umstände.
Als wir das erste Mal zu Maki nach Yokohama gefahren waren und sie meine Tätowierung gesehen hatte, war sie schrecklich wütend gewesen und hatte geschrien: »Du hast sie doch nicht mehr alle, oder? So was kann man als Frau doch nicht machen. Unsere Eltern werden entsetzt sein, wenn sie das sehen. Und dir wird es sicherlich irgendwann leidtun!«
»Wird es nicht!«
»Klar, du bist wirklich dumm, Shoko!«
Dann hatte sie sich ärgerlich abgewandt, und jetzt raunte sie mir schnippisch zu: »Siehst du, das hast du jetzt davon.«
Die Betreuerin führte nach und nach alle Frauen, die sich bereits fertig umgekleidet hatten, aus dem Raum. Ich war schließlich die Letzte, die in die Aussegnungshalle kam. Als Nächstes wurde ein Foto mit allen Verwandten neben dem Sarg gemacht.
»Arme Shoko, dein Kragen ist ziemlich hoch, das sieht echt unbequem aus«, wisperte mir Maki, die überhaupt nicht verstehen konnte, warum ich mich hatte tätowieren lassen, zynisch zu.
»Maki-chan, hast du Mamas Make-up dabei?«
»Ja, hier.«
Ich nahm den Lippenstift und den Pinsel aus dem kleinen Nylontäschchen, dann öffnete ich die Puderdose. Es roch leicht und süß, so wie Mama. Sie war in ihrer Jugend sehr
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