Ich träume deutsch
nicht alles verstanden hatte, blieben viele von Birsens Worten in meinen Ohren hängen.
Aber durfte man solche Gedanken haben? War Allah nicht böse mit mir? Und war Allah derselbe wie Gott, und ging es im Koran wirklich um Liebe und Frieden wie in der Bibel auch?
|39|
Nur einmal an Weihnachten so sein wie die Deutschen
Es war der 24. Dezember 1973, und in Deutschland war es wieder Weihnachten, der Geburtstag des Propheten Isa. Isa ist nicht unser Prophet und wir feierten auch kein Weihnachtsfest, aber Anne kaufte für uns jedes Jahr auf dem Wochenmarkt einen echten Weihnachtsbaum. Geschenke gab es natürlich auch nicht, und trotzdem waren meine Schwester und ich immer sehr aufgeregt. Meistens fuhren wir an Weihnachten in die Schweiz zu meinem Onkel Mehmet. Diesmal wollten wir erst am 25. Dezember fahren, da Baba am 24. noch arbeiten musste. Draußen war es sehr kalt, und der Schnee war grau und schmutzig. Meine Schwester Mine und ich hüpften Seil. Jedes Mal wenn das Seil in eine schmutzige Pfütze knallte, hatten wir einen Riesenspaß. Ich glaube, außer uns beiden war niemand mehr auf der Straße. Helene schaute aus dem Fenster und machte ein sehr trauriges Gesicht. Wahrscheinlich war ihr wieder einmal verboten worden, mit uns zu spielen. Herr Schäufele lief hektisch an uns vorbei. Er war noch schöner gekleidet als sonst. Kurz darauf kam Helene runter, schnappte mich am Arm und zog mich zu ihrem Haus. Zuerst wollte ich nicht, weil ich wusste, dass ihr Vater schimpfen würde. Doch sie zerrte mich einfach weiter und sagte ganz aufgeregt: „Komm Nilgün, du darfst mit rein, meine Mama hat es erlaubt. Papa ist zur Oma gegangen und kommt erst ganz spät wieder nach Hause.“
Diesmal war mir das Haus mit den wunderbaren Bildern an den Wänden und dem weichen blauen Teppich völlig egal. Der Duft nach Essen war bereits vor der Haustür nicht auszuhalten. |40| Mein Mund wurde ganz wässrig, und ich bekam furchtbaren Hunger.
Es roch so unbeschreiblich lecker nach Zimt, Braten und Kuchen und nach allen möglichen leckeren Sachen, die ich nicht kannte.
„Hmm, bei euch riecht es aber gut! Was kocht denn deine Mama?“
„An Weihnachten gibt es bei uns immer eine Gans mit Rotkohl und Knödeln und danach Bratäpfel mit Vanilleeis“, antwortete Helene und plötzlich stand ihre Mutter vor uns und schüttelte den Kopf. „An Heiligabend, Helene, heute ist Heiligabend und morgen ist Weihnachten“, sagte Frau Schäufele und verschwand gleich darauf in der Speisekammer.
Ich blieb abwartend im Flur stehen, da ich nicht aufdringlich sein wollte.
Frau Schäufele drehte sich um und fragte: „Na, feiert ihr denn auch Weihnachten oder kümmert euch ein christliches Fest gar nicht?“
Ich musste aufpassen, was ich sagte, schließlich hatte ich lange darauf warten müssen, bei Schäufeles aufgenommen zu werden.
„Wir haben sogar einen Weihnachtsbaum, den wir geschmückt haben, und meine Mama macht heute auch eine Weihnachtsgans!“
Meine Antwort schien Frau Schäufele nicht zu gefallen. Sie drehte sich um, murmelte noch etwas und ging in die Küche. In die Küche! Dorthin wäre ich am liebsten auch gegangen. Wenn ich nur einen Blick auf diese Weihnachtsgans hätte werfen können! Ich wollte sie nur einmal sehen. Ich hatte noch nie eine echte Weihnachtsgans gezeigt bekommen. Aber da kam mir eine Idee. Ich bat Helene um ein Glas |41| Wasser. Helene ging in die Küche und ich folgte ihr. Das Wasser lief mir nun erst recht im Mund zusammen. Ich schaute unauffällig in den Backofen und sah die Gans. Das war ein Anblick! Wenn ich nur ein kleines Stück davon bekommen hätte, wäre ich der glücklichste Mensch auf Erden gewesen. Bei uns Türken war es üblich, einen Gast zum Essen einzuladen, wenn er das Essen gesehen oder gerochen hatte. Wenn der Gast keine Zeit zum Mitessen hatte, gab meine Anne ihm etwas mit. Anne sagte immer: „Wenn der Gast nicht von dem probiert, was er gerochen hat, wird er vielleicht vor Sehnsucht krank, dann sind wir daran schuld!“ Diese Sitte mochte ich sehr, aber es war eine türkische Sitte und keine deutsche, und Frau Schäufele kannte sie leider auch nicht. Ich nahm einen Schluck Wasser, verabschiedete mich ganz schnell und rannte nach Hause. Meine Anne musste unbedingt auch eine Weihnachtsgans machen.
„Anne, du musst auch eine Gans machen, aber die muss nach Äpfeln und Zimt riechen, und du musst so runde Bälle dazu machen. Wie heißen die noch mal? Ja Knödel, du musst Knödel
Weitere Kostenlose Bücher