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Ich träume deutsch

Ich träume deutsch

Titel: Ich träume deutsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nilgün Tasman
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dass Ablam wieder gerne in die Schule ging.

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Kısmet ist, wenn Menschen nicht selbst entscheiden
    Wir hatten schon zweimal Bayram gefeiert. Einmal das Opferfest und das Fastenfest, Ramadan. Annem hatte uns einige Briefe geschickt, und in allen stand, dass sie bald kommen würde. Aber wir wussten, dass „bald“ noch lange dauern konnte. Ablam hatte Annem auch Briefe geschrieben und ihr ein Foto von uns geschickt. Da hatte sie sich sehr gefreut, schrieb sie, und sie hatte sogar weinen müssen, aber nicht, weil sie traurig war, sondern vor Glück.
    Ablam und ich hatten an unseren Geburtstagen den ganzen Tag am Fenster auf Annem gewartet. Aber auch da war sie nicht gekommen.
    Wir durften nun ganz oft Kleider aus dem Deutschlandkoffer anziehen, und wir durften mit den Dorfkindern spielen. Ich spielte aber immer noch am liebsten mit meinem Freund Yalcin.
    Babaanne versteckte ihr Lachen nur noch selten, und manchmal erlaubte sie mir sogar, bei ihr im Bett zu schlafen. Eigentlich war Babaanne ganz lieb. Nur ein Mal hatte sie Ablam und mich geschlagen. Aber das war meine Schuld.
    An Ramadan lief jede Nacht der Trommler durch die Straßen und weckte die Menschen auf, damit sie vor Sonnenaufgang noch essen konnten. Ablam und ich mussten zwar nicht fasten, aber durch das laute Trommeln wachten wir jede Nacht auf. Dann kochte Babaanne Nudeln oder backte Börek, und wir durften mitessen.
    Mir gefiel die Trommelmusik sehr. Es war die gleiche Musik wie auf der Hochzeit von Mahmut Ağas Sohn. Ich ging auf die Straße, stellte mich vor den Trommler und fing |113| an, mit den Hüften zu wackeln. Der Trommler schüttelte den Kopf, fand es aber ganz lustig. Als Babaanne das sah, bekam sie fast keine Luft mehr. Sie schnappte mich am Arm und zerrte mich in den Hof. Dann schüttelte sie mich durch und schrie mich ganz laut an. Das sei Günah und außerdem sei es eine Schande, zur Fastentrommel zu tanzen.
    „Lass meine Schwester los!“, kreischte Ablam, als sie sah, wie Babaanne mit mir schimpfte. Sie nahm Anlauf und schubste Babaanne auf den Boden. Wir standen beide wie versteinert da und starrten Babaanne an. Zuerst bekam Ablam eine Ohrfeige und dann ich. Babaanne stürzte ins Haus, und wir versteckten uns in der Scheune. Später versuchte Babaanne, uns ins Haus zu bringen, aber wir blieben für den Rest der Nacht in der Scheune.
    Am nächsten Morgen erklärte Babaanne, dass sie uns nur vor der Strafe Allahs hatte behüten wollen, und dass es ihre Aufgabe sei, uns vor Untaten zu bewahren. Ich entschuldigte mich gleich bei ihr, aber Ablam versöhnte sich erst nach ein paar Tagen mit Babaanne. Eigentlich war ich ja an allem schuld, und Ablam wollte mich nur verteidigen. Sie hatte Annem versprochen, mich immer zu beschützen.
    Nachdem wir uns alle versöhnt hatten, schlachtete Babaanne sogar ein Huhn, obwohl es noch Eier legte. Es gab Pilav aus weißem Reis, und jeder von uns bekam eine Handvoll Leblebi. Es war ein richtiges Hochzeitsessen. Danach röstete Babaanne Maronen auf dem Ofen und erzählte uns Geschichten von Dede. Zum ersten Mal gab uns Babaanne einen Kuss auf die Wange und drückte uns ganz fest an sich. Bevor Babaanne uns die Decke über die Schultern zog und feststeckte, gab sie uns ein Stück braunen Kandiszucker in den Mund. „Damit ihr süße Träume habt“, sagte sie und deckte uns zu.
    |114| „Lieber Allah, ich habe schon lange nicht mehr gebetet, weil ich immer gleich eingeschlafen bin. Sei mir bitte nicht böse. Danke, dass du Babaanne so lieb gemacht hast. Und ich wusste wirklich nicht, dass Tanzen an Ramadan Günah ist. Tövbe, Allahım, Tövbe. Bitte bring meine Anne zu uns. Gute Nacht, Allahım.“
    Wenn ich mit Allah sprach, bekam ich immer Angst, denn ich fühlte mich ständig schuldig. Auch wenn es an einem Tag war, wo ich nicht gesündigt hatte. Nach dem Beten versteckte ich mich daher unter meiner Decke und schlief meistens ein, bevor sich mein Kandiszucker aufgelöst hatte.
    Plötzlich hörte ich eine Stimme.„Yavrum, benim,wach auf, deine Anne ist da.“
    Ich öffnete meine Augen und sah meine Anne. Zuerst dachte ich, dass es ein Traum sei, und rieb mir fest die Augen. Aber diesmal war es kein Traum, es war meine Anne. Sie saß neben mir und streichelte mir über den Rücken. Dann beugte sie sich zu mir vor, aber bevor sie mich küssen konnte, sprang ich auf und rannte zu meiner Babaanne, die an der Tür stand und die Petroleumlampe in der Hand hielt.
    Ich versteckte mich zwischen den Falten

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