Ich träume deutsch
Ismail, der jüngste Bruder von Annem, hatte ihr dabei geholfen. Baba hatte keinen Urlaub genehmigt bekommen, weil er eine neue Arbeitsstelle hatte.
„Ihr müsst nie wieder alleine bleiben, Hasan und ich arbeiten jetzt Schicht“, sagte Anne und drückte uns ganz fest an sich.
„Muss ich nicht mehr zu deinen Freundinnen gehen?“, fragte ich skeptisch.
„Hayır, Kızım, außerdem wirst du auch bald in die Schule kommen.“
„In Istanbul, nicht wahr, Anne?“, fragte Mine.
„Nein, in Deutschland“, antwortete Annem.
Mine zog die Mundwinkel nach unten.
|118| „Noch mal nach Deutschland? Ich dachte, wir bleiben in Istanbul, jetzt haben wir doch einen Bauplatz, Anne.“
Wir hatten zwar einen Bauplatz, aber noch kein Geld, um ein Haus dort zu bauen. Unsere Eltern mussten in Deutschland noch viel Geld verdienen. Baba ging nur noch an den Wochenenden ins Café und trank auch viel weniger Raki.
„Er kommt so müde nach Hause, dass er auf dem Sofa einschläft“, erzählte Anne.
Sie war oft krank gewesen, weil sie Sehnsucht nach uns hatte. Sie konnte nachts nicht mehr schlafen, hatte kaum noch Appetit und war immer müde, weil sie so viel arbeiten musste. Eines Tages, als Annem weinend das Büro ihres Chefs putzte, dem die Firma gehörte, hatte dieser reiche Mann plötzlich hinter meiner Anne gestanden und ihr auf die Schulter geklopft. Er hatte wissen wollen, warum Anne so traurig war. Dann hatte er sogar einen Dolmetscher kommen lassen, um sie zu verstehen. Anne hatte von uns erzählt, dass sie mich immer zu Hause allein lassen musste und was im Kindergarten passiert war, und dass sie uns seit fast zwei Jahren nicht gesehen hatte. Herr Boehringer fragte meine Anne, was er für sie tun könnte. Annem erzählte ihm weiter, dass mein Baba verzweifelt auf der Suche nach einer Arbeit war, wo er nachts arbeiten konnte, damit wir nicht alleine zu Hause bleiben mussten.
Der Mann hatte Annem versprochen, ihr so bald wie möglich zu helfen. Ein paar Tage später durfte Baba gleich mit der Nachtschicht anfangen.
„Hasan wollte natürlich seine Arbeit als Fahrer nicht aufgeben, aber ihm blieb nichts anderes übrig“, sagte Annem.
Herr Boehringer hatte meiner Anne einen Briefumschlag in die Hand gedrückt und ihr alles Gute gewünscht.
„Das war das Geld für mein Flugticket und ein Monatsgehalt“, |119| sagte Annem weinend. „Von keinem Moslem habe ich jemals so viel Gutes erfahren. Dieser Mann ist ein Engel!“
Babaanne schien sich gar nicht zu freuen.
„Was sagt mein Sohn dazu? Kein Mann macht das ohne Hintergedanken!“, sagte sie zu Anne.
Anne lachte nur und schüttelte den Kopf.
„Yavrum, wir fahren noch heute nach Ankara und fliegen von dort wieder nach Deutschland. Ich habe nur drei Tage Urlaub genommen.“
Kaum hatte Anne den Satz beendet, rannte Mine ins Schlafzimmer und fing an, unsere Koffer zu packen. Babaanne sagte kein Wort mehr. Ich wusste nicht, ob sie wegen des Chefs, der meiner Anne Geld gab, böse war oder ob sie böse war, weil mein Baba nicht gekommen war.
„Lass die Kinder hier, dann könnt ihr schneller für immer Alamanya verlassen“, sagte Babaanne.
„Hayır, nein!“, schrie Mine. „Ich will zu meiner Anne. Du nimmst uns doch mit, oder?“
Mine hängte sich an Annes Hals.
„Evet, Kızım, wir werden uns nie wieder trennen!“, antwortete Annem.
„Dann zieht eure Kinder selber groß. Ihr habt mich ja auch nicht gefragt, als ihr sie gezeugt habt!“, sagte Babaanne und verließ das Zimmer.
„Alles wird besser, Kinder, ich verspreche es euch!“, sagte Annem immer wieder.
„Nilgün, du sagst ja gar nichts, Yavrum. Freust du dich nicht?“
Eigentlich wusste ich nicht so wirklich, ob das jetzt alles gut oder nicht so gut war. Ich wusste auch nicht, ob Babaanne traurig oder böse war. Aber wenn Anne sagte, dass alles besser würde, dann war vielleicht doch alles gut?
|120| Nachdem unsere Koffer gepackt waren, durften wir die neuen Kleider aus Deutschland anziehen, die uns Anne mitgebracht hatte. Anne kämmte mir die Haare, aber sie konnte mir keinen so schönen Strich wie Babaanne machen.
Auf dem Weg zur Busstation hielt ich Babaannes Hand ganz fest, während Ablam mit Anne vor uns herlief. Mine redete ununterbrochen mit Anne. Babaanne und ich sagten nichts.
„Anne, ich danke dir noch mal für alles, was du für meine Kinder getan hast!“
„Ich habe nichts getan. Ich bin froh, dass ich endlich wieder meine Ruhe habe“, antwortete Babaanne.
„Du weißt
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