Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich
keinerlei Badegäste ihren Weg hierhergefunden. Mittlerweile hatte mein Bruder schon ziemlich Hunger. Weil sich über den Oktopus vom Vortag bereits die Fliegen hergemacht hatten, ging er erneut mit der Harpune jagen. Dazu war er ja auch hergekommen. Diesmal fing er zwei Kraken. Immer noch war niemand auf dem kleinen Strandabschnitt erschienen, mein Bruder hatte ihn ganz für sich allein. Es hätte traumhaft sein können. Wenn nur der Hunger nicht gewesen wäre.
Am Abend war der Hunger kaum noch auszuhalten. Die viele Bewegung im Wasser, die frische Luft und das ständige Gegeneinanderreiben von trockenen Stöcken, die ein Feuer entfachen sollten (was leider nie klappte), ließen seinen Magen laut knurren. Es war ihm geradezu schlecht vor Hunger. Darum verspeiste er die beiden Tintenfische roh, und er redete sich ein, dass sie auf diese Weise gar nicht so schlecht schmeckten: »Fast wie Austern.« Er hatte ja zum Glück genug Zitronen dabei.
Am nächsten Morgen funktionierte die Sache mit den Stöcken immer noch nicht, auch hatten sich keinerlei Badegäste blicken lassen. Mein Bruder frühstückte das Innere von ein paar Seeigeln, zum Mittagessen gab es dann vier zarte kleine Kalamari, natürlich alles roh, aber immerhin mit Zitronensaft.
Am Abend konnte er beim besten Willen keinen rohen Fisch mehr runterkriegen. Morgens packte er zusammen und beeilte sich, um die Fähre zurück nach Spetses zu erreichen. Im Ort angekommen, kaufte er sich sofort zwei Pita-Souvlaki ,doch das reichte ihm allenfalls als Vorspeise, und so war er ziemlich ausgehungert, als er dann den Weg zu unserem Strand zurückgelegt hatte – obwohl es durchaus genug Fisch an dem kleinen, einsamen Strand in Ägina gegeben hatte.
Ein paar Jahre später beschloss mein Bruder, eine Fahrradtour über den Peloponnes zu machen. Das war eine Zeit, als es noch nicht groß in Mode gekommen war, mit dem Rad die Alpen und andere Gebirge zu befahren. Mountainbiking war während unserer Kindheit und frühen Jugend völlig unbekannt. Mein Bruder war allerdings bereits als Kind gern zweirädrig über unwegsames Gelände geholpert – oft mit meinem Rad, denn seines war meist kaputt (eine Folge der Extrembeanspruchung). Es gab eine Zeit, in der er sich mit nichts anderem beschäftigte als sich heimlich mein Fahrrad zu schnappen und damit die Böschungen der Kiesgrube hinter unserer Siedlung hinunterzurasen. Als er irgendwann etwas über eine neue Sportart namens Mountainbiking las, war er wie elektrisiert: Das war sein Sport!
Er wurde zu einem der ersten Mountainbikebesitzer Münchens und liebte sein Rad derart, dass er sein ganzes Geld für Zubehör ausgab. Zum Beispiel für eine spezielle Mountainbiketasche. In die packte er das Rad, bevor er damit in den Zug stieg.
Ich begleitete ihn zum Münchner Hauptbahnhof. »Ich verstehe wirklich nicht, wie du auf die Idee gekommen bist, ausgerechnet mit dem Rad durch Griechenland zu fahren«, sagte ich. Er reagierte ein wenig ungehalten – es war ihm anzumerken, dass ich nicht die Einzige war, die seinen Plan merkwürdig fand. »Ich mache eben einfach eine Radtour. Eine Radtour ist doch wohl was völlig Normales.«
»Schon – aber doch nicht in Griechenland im August!«
Mein Bruder sagte: »Davon verstehst du nichts.«
Der Zug brachte meinen Bruder und das Rad nach Ancona, dort bestieg er das Schiff nach Patras, und von dort aus ging es sofort los. Zumindest war das der Plan.
Allerdings gab es da noch eine Verabredung mit einem Mädchen, auf dessen Anruf er in Patras warten wollte. Sie sollte sich um eine bestimmte Uhrzeit in einem bestimmten Hotel melden, doch irgendwie klappte das nicht. Als mein Bruder losfuhr, war es viel später als geplant. Als er endlich sein Ziel, ein kleines Bergdorf, erreichte, war es bereits zu dunkel, um sich einen guten Schlafplatz (im Gepäck meines Bruders befand sich der Schlafsack) zu suchen, also besuchte er erst einmal die einzige Dorftaverne.
Er wurde ziemlich bestaunt, als er das Rad vor dem Lokal abstellte – es kamen nie Touristen in den kleinen Ort, schon gar keine auf Rädern, und keiner hätte es für möglich gehalten, dass jemand eine solche Strapaze freiwillig auf sich nimmt: Die Berge des Peloponnes sind bis zu 1500 Meter hoch, und im Sommer erreichen die Temperaturen häufig über fünfunddreißig Grad. Selbst jetzt am Abend war es noch ziemlich warm. Nicht einmal, wenn mein Bruder beim Radeln eine Clownsnase getragen und mit brennenden Fackeln jongliert hätte,
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