Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich
ich mich nicht übergeben. Als wir aber endlich aufstanden, um am Ende des Ortsstrandes unsere Schlafsäcke auszurollen, merkte ich, dass mir der ganze Alkohol in die Beine gesackt war. Das nämlich ist die Eigenheit des Ouzos: Solange man sitzt und trinkt, spürt man ihn kaum. Steht man dann aber auf, fällt man um. Oder man spuckt. Bei mir war es auf dem Weg zu unserem Schlafplatz so weit.
Den Rest des Abends rotierte die Insel in relativ hohem Tempo um mich herum. Es drehten sich: der Strand, die aufdem Meer schaukelnden Fischerboote, ein bellender Strandköter, die Lichter der kleinen Strandkneipen, die Gesichter meines Bruders und meines Freundes (Letzteres etwas besorgt, Ersteres ziemlich spöttisch), der Mond und alle Sterne am Firmament.
Das Letzte, an das ich mich erinnern kann, ist, dass mein Bruder seinen Schlafsack noch weiter von uns entfernt ausrollte als sonst. Und an die Worte, die er schließlich zu mir herüberrief: »Morgen wird’s echt Zeit für meinen einsamen Strand!«
Weil es auf Spetses doch keinen ganz und gar einsamen Strand gab, fuhr mein Bruder mit der Fähre auf die Nachbarinsel Ägina. Als er weg war, sagte mein Freund: »Die Luft ist rein«, worüber wir sehr lachen mussten.
Es ging uns dabei allerdings gar nicht so sehr darum, allein zu sein – ungestört war man inmitten der anderen Schlafsacktouris ohnehin nicht –, sondern darum, dass mein Bruder damals mit fünfzehn noch unter entsetzlichem pubertären Fußschweiß litt. Beziehungsweise: Es waren eher wir, die darunter litten. Das Problem war auch durch häufiges Waschen nicht zu beheben, ja selbst ausgiebige Meeresbäder konnten dem Fußgeruch nichts anhaben. Einmal, als mein Bruder sich stundenlang bei der Tintenfischjagd im Meer aufgehalten hatte, wurde mein Freund, der in der Sonne eingeschlafen war, durch den Geruch sogar geweckt: »Dein Bruder kommt aus dem Wasser!«, sagte er gähnend, noch bevor er die Augen aufgeschlagen hatte.
Seiner Beliebtheit bei den Mädchen tat das Fußschweißproblem aber keinen Abbruch (von den Espadrilles, die er meistens trug, wurde der Geruch relativ gut gefiltert), darum hingen die Bremerinnen und eine junge Österreicherin aus Klagenfurt an seinen Lippen, wenn er von der Einsamkeit am Robinson-Strand, den Sternschnuppen und insbesondere derabenteuerlichen Tintenfischjagd erzählte. »Man muss dem Tier das Messer zwischen die Augen stoßen, sonst zappelt es noch ewig. Wenn man kein Messer hat, erledigt man es am besten mit einem Biss zwischen die Augen, dazu packt man es so … und so …«, sagte er und führte eine kleine Pantomime auf, und die Mädchen blickten ihn mit einer Mischung aus wohligem Gruseln und unverhohlener Bewunderung an.
Fakt ist, dass er es an dem einsamen Strand nur drei Nächte ausgehalten hat. Dann stand er plötzlich wieder vor uns, schleuderte seine Sachen achtlos unter die Bäume und ging sehr schnell in die Taverne, wo er ein Pastitio und einen Salat verputzte und mit großen Scheiben Weißbrot die Teller auswischte. Offenbar hatte es nicht genügend Fische und Kraken gegeben, um satt zu werden, dachte ich und zog ihn auf: »Oder du hast sie einfach nicht erwischt?« Was tatsächlich vorgefallen war, damit rückte mein Bruder erst ein paar Tage später heraus:
Es war ein beschwerlicher und langer Fußmarsch gewesen zu dem einsamen Strand auf Ägina, insbesondere mit Gepäck – mein Bruder hatte sich mit jeder Menge Wasserflaschen eingedeckt. Außerdem mit Zitronen. Zwei Kilo Zitronen, denn ohne Zitronensaft schmeckten meinem Bruder die gegrillten Tintenfische nicht.
Für den geübten Harpunenjäger gab es tatsächlich eine Menge Tintenfische auf Ägina, schon bald hatte mein Bruder ein stattliches Exemplar aus dem Meer geholt. Nun wurde es Zeit für ein hübsches Lagerfeuerchen, an dem man sich wärmen konnte und, vor allem: den Oktopus braten. Da erst stellte mein Bruder fest, dass er gar kein Feuerzeug dabeihatte.
Mein Bruder war sehr müde, und sein Hunger war noch nicht sehr groß: Auf der Fähre hatte er eine ganze Packung Schokoladenkekse verdrückt. Große Sorgen machte er sich nicht: Am nächsten Morgen würde alles sicher ganz andersaussehen. Vielleicht verirrte sich ja jemand zum Baden an den kleinen Strand. Vielleicht ein Raucher, der meinem Bruder sein Feuerzeug überlassen würde. Irgend so etwas. Mein Bruder kuschelte sich in seinen Schlafsack und schlief bald ein.
Der einsame Strand war tatsächlich sehr einsam: Bis zum Mittag hatten
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