Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich
wäre ihm mehr Aufmerksamkeit zuteil geworden.
»Mit dem Fahrrad über den Peloponnes – im August! Wie kommt man denn auf solch eine Idee?!«, wunderten sich die Tavernengäste, die ihn umringten, und der Wirt stellte ihm sofort Gratiswasser und Gratisbier auf den Tisch. Mein Bruder, der diese Frage während der Zug- und Schiffsfahrt bereits so oft gestellt bekommen hatte, dass er sie nicht mehr hören konnte, zuckte nur mit den Schultern und bedankte sich für die Getränke. Der Wirt wusste auch einen Schlafplatz für meinen Bruder: die avli seiner Tante, beim letzten Haus des Dorfes. Da sei Platz und Ruhe.
Mein Bruder hatte den Wirt so verstanden, dass das Haus der Tante leer stand (was auch ein sprachliches Missverständnis gewesen sein mag), deswegen wäre er vor Schreck fast schreiend aus dem Schlafsack gesprungen, als am nächsten Morgen eine Stimme ganz nahe an seinem Ohr kalimera, g uten Morgen, raunte. Da kauerte eine alte, schwarz gekleidete Frau vor ihm und kicherte über sein Erschrecken. Sie war gerade dabei, ein kleines Tablett mit Gebäck und Mokka neben seinem Schlafsack unter ihrem Feigenbaum abzustellen, zum Frühstück für den jungen Gast. Als sie den Schlafenden in ihrem Hof vorfand, hatte sie sich offenbar richtiggehend über ein wenig Abwechslung gefreut. Gehen ließ sie ihn erst nach dem dritten Kaffee. Außerdem packte sie ihm noch eine stattliche Tüte mit Proviant: Oliven, Brot und Käse.
Die Alte nämlich hatte sich selbst ihren Reim darauf gemacht, warum mein Bruder das Land per Pedal erkundete: »Ich verstehe schon«, sagte sie. »Du bist arm und hast kein Geld für ein Auto. Aber das nächste Mal nimm lieber den Bus, das ist gar nicht so teuer. Und viel bequemer.«
Das musste mein Bruder auch bald zugeben, dennoch kämpfte er sich bis in das rund 200 Kilometer von Patras entfernte Nafplion durch. Wie viele Tage er dazu brauchte, weiß er heute nicht mehr zu sagen. »Viel zu viele« jedenfalls. Er weiß allerdings noch, dass er rund fünf Kilo verlor, obwohl die Bewohner der Dörfer, durch die er kam, den »armen« Radfahrer richtiggehend durchfütterten und er in den Tavernen fast nie seine Rechnung bezahlen durfte.
In Nafplion beschloss er, das Fahrradfahren für möglichst lange Zeit bleiben zu lassen, und schob das Mountainbike auf die Fähre nach Spetses, wo er es ebenfalls kein einziges Mal mehr bestieg, sondern am Strand als Handtuchhalter benutzte. »Es war wahrscheinlich doch einfach die falsche Jahreszeit zum Radeln«, räumte er später ein, »einen Monat früher oderspäter wäre es aber sicher kein Problem gewesen.« Doch den Beweis dafür wollte er bis heute nicht erbringen. Seine Griechischkenntnisse allerdings hatten von der Radtour absolut profitiert: Er lernte zum Beispiel endlich, die Worte anifora , Anstieg, und katifora, Abstieg, voneinander zu unterscheiden. Und er nahm den Begriff exantlimenos in seinen Wortschatz auf – völlig ermattet.
Ich dagegen hatte den Eindruck, mein Griechisch werde immer schlechter. Tatsächlich war das wohl nicht der Fall, das Problem war vielmehr, dass es nicht besser wurde: Es blieb auf dem Stand der Sprache eines Kindes. Ich hatte zwar eine gute Aussprache und konnte Alltagsdinge zumeist fehler- und akzentfrei vorbringen. Bei komplizierten Sachverhalten allerdings musste ich mich mit Umschreibungen behelfen, und so kam es, dass ich bei ernsthaften Diskussionen oft einen etwas zurückgebliebenen Eindruck hinterließ. Zum Beispiel, weil mir das Wort sinagonismos , Wettbewerb, nicht einfiel und ich deshalb etwas von »wenn alle gegeneinander kämpfen – wie heißt das gleich noch?« stammeln musste. Oder weil ich schlechterdings keine Ahnung hatte, was Bruttosozialprodukt auf Griechisch heißt.
Einmal, mit Mitte zwanzig, verbrachte ich einen Urlaub mit Cousine Anna auf Santorin, wo ich mich in einem Restaurant blamierte: Es war ein schickes kleines Lokal im traditionellen Stil, dargeboten wurde internationale Küche, die Gäste aber waren mehrheitlich junge Griechen aus Athen. Deswegen lachten alle im ganzen Raum, als ich der Bedienung mit vernehmlicher Stimme zurief, sie möge uns doch bitte ein paar Damenbinden an den Tisch bringen. Die heißen nämlich servietes , wohingegen Servietten in Griechenland als chartopetsetes bezeichnet werden. Das hatte ich dummerweise wieder einmal verwechselt. Anna lachte am lautesten und längsten, und ich werde das Wort chartopetsetes sicher nie mehr vergessen.
Es war unser bis dato
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