Ich uebe das Sterben
scheinenden Stränden machen den Kopf frei. Es ist, als gäbe es auf einmal Platz für neue Gedanken, als würde ich von allem unnützen Ballast befreit.
Die allabendliche Entspannung im Whirlpool bei Kerzenschein und Musik rundet einen völlig erholsamen Urlaub ab. Und die nächtlichen Ausflüge bei Vollmond, der das dunkle Meer glitzern lässt, und zu denen wir vermummt wie zu einer Nordpolexpedition aufbrechen, lassen mich zur Ruhe kommen.
Wieder ein paar schöne Momente für mein Buch der Erinnerungen.
Als Tiernärrin gerate ich schnell in Versuchung, Tierheime zu besuchen. Meine Freundin Kirstin hat mir empfohlen, das Tierheim vom Bund gegen Missbrauch der Tiere in Brinkum anzuschauen, da es einen Schwimmteich und einen Agilityplatz für Hunde besitzt.
Tatsächlich ist das Tierheim, das abgeschieden am Rande eines Industriegebietes liegt, ein kleines Paradies – falls man bei einem Tierheim davon reden kann.
Harald und ich laufen an den geräumigen Hundezwingern vorbei und sehen uns die Vierbeiner an. Als wir an der letzten Box ankommen, sehen wir einen Hund mit vielen Narben in seinem traurigen Gesicht in der Ecke kauern. Aus seinen Augen springt uns die pure Angst entgegen.
Harald und ich schauen uns an, und alle Worte sind überflüssig. Wir hätten es eigentlich wissen müssen. Wenn wir ein Tierheim betreten, verlassen wir es nicht wieder ohne ein Tier.
Eine Viertelstunde später wird Fritzi aus seinem Zwinger getragen, denn er traut sich nicht, selbst zu laufen. Der Tierpfleger sagt uns, dass Fritzi noch nie in seinem Leben an einer Leine gelaufen und noch nie spazieren gewesen sei. Aber wenn wir wollen, können wir gerne versuchen, ein Stück mit ihm zu gehen. Vielleicht stehen unsere Chancen nicht schlecht, weil wir zwei eigene Hunde dabeihaben, an denen Fritzi sich orientieren kann.
Die Mission Fritzi beginnt. Schon das Anlegen des Geschirrs und des Halsbandes bringt uns zur Verzweiflung. Als wir es dann schließlich schaffen, ihm beide Utensilien überzustreifen, rennt er panisch los, zieht hektisch von einer Seite zur anderen und duckt sich immer wieder flach auf den Boden. Blue springt bellend um ihn herum. Basti schnüffelt an seinem Hintern, brummt kurz und lässt ihn dann in Frieden.
Entgegen aller Erwartungen scheint Fritzi den Spaziergang aber gar nicht so schlecht zu finden.
Zurück im Tierheim, sind die Mitarbeiter sehr angetan von unserem erfolgreichen Spaziergang mit Fritzi. Wir erfahren, dass sein früherer Besitzer an Tiersammel-Sucht, einer psychischen Störung, litt. Fritzi wurde Ende Oktober mit siebenundzwanzig anderen Hunden aus einem verlassenen, verwahrlosten und dunklen Haus befreit. Mein Mitleids-Gen ist angepiekst, und ohnehin finde ich Fritzi sehr besonders. Er ist erst zwei Jahre alt – ein Jungspund also –, der sicher Spaß daran hat, für Blue den in Pickwick verlorenen Spielgefährten zu ersetzen.
Der Tierheimleiter gibt uns sechs Wochen Bedenkzeit.
Zu Hause entscheiden wir uns dafür, uns Fritzi zum Valentinstag zu schenken. Eine neue Aufgabe, die Sinn und Farbe in mein Leben bringt. Oder kritisch betrachtet: noch ein Faktor mehr, der mich überfordert, wenn die Krankheit mich fest im Würgegriff hat.
Trotz kleiner Zweifel sitzt Fritzi am Valentinstag in unserem Auto, um seine lange Reise von fast fünfhundert Kilometern in sein neues Zuhause anzutreten. Die Fahrt verläuft problemlos.
Fritzi fügt sich super bei uns ein. Er ist zwar noch sehr ängstlich, aber auch artig und ruhig und anhänglich. Sicher ist es ein wenig anstrengend mit ihm, weil er geistig zurückgeblieben ist und Lernschwierigkeiten hat. Das stellt Harald und mich vor eine besondere Herausforderung, aber Fritzi hat so eine sanfte und liebenswerte Art, dass wir uns dieser gerne stellen.
Mein letzter Lauf – der Frankfurt Marathon – liegt über ein Jahr zurück. Durch die vielen Schockabgaben, meine Klinik-Odyssee und Pickwicks Erkrankung hatte ich im letzten Jahr keine Möglichkeit, wieder in den Sport einzusteigen.
Jetzt allerdings schmiede ich Pläne, wieder mit dem Laufen anzufangen. Och hat sich schon seit vier Wochen nicht mehr gemeldet, sodass ich seinetwegen auch keine Bedenken habe.
Als ich dann die Gelegenheit am Schopf packe und meine Laufschuhe schnüre, ist es schwierig, nach so langer Zeit wieder in den Sport hereinzufinden. Zu Beginn macht das überhaupt keinen Spaß, sondern ist eine Qual, weil ich quasi bei null anfange. Ich bin so langsam, dass man mir beim Laufen
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