Ich uebe das Sterben
das macht mich wiederum wütend, denn schließlich ist die Angiographie mit dem Coiling weder schmerzvoll noch etwas, das mir Angst machen könnte.
Ich friere auf der Untersuchungsliege, und dennoch rinnt der kalte Schweiß an mir herunter. Ich atme sehr bewusst, um meine Nerven wieder in den Griff zu bekommen. Doch Fehlanzeige.
Beherrscht beiße ich mir auf die Lippen, als die Schleuse an meiner rechten Leiste gelegt wird. Ich verspüre dank Lokalanästhesie zwar keinen Schmerz, sondern nur Druck, aber dieser Druck ist heute zu groß für mich. Ich überlege ernsthaft, ob ich den Arzt fragen soll, aufzuhören und mich gehen zu lassen. Doch mein Verstand schaltet sich glücklicherweise ein. Ich sage nichts und bleibe ruhig auf dem Rücken liegen.
Als der erste Führungskatheter mit dem Coil an seinem Platz sitzt, kommt es zu unerwarteten Problemen. Keiner der anwesenden Ärzte weiß, wie man die Coils mechanisch ablöst. Ich bekomme Panik, dass der Eingriff erneut nicht zu Ende gebracht werden kann. Zum Glück ist es möglich, direkt bei der Herstellerfirma der Coils anzurufen und nach der Lösung des Problems zu fragen. Es dauert nicht lange, bis der Eingriff fortgesetzt werden kann. Einige Coils später bin ich dann erlöst, und meine Stimmung schlägt urplötzlich um. Ich bin glücklich, froh und dankbar, dass ich wieder einen erfolgreichen Eingriff hinter mich gebracht habe.
Da Harald beruflich unterwegs ist, besucht mich Nele, um sich um mich zu kümmern und mir mit ihrer Anwesenheit die Liegezeit von sechs Stunden zu verkürzen. So wird Nele zum Opfer meiner Achterbahnfahrt der Gefühle. Glücklicherweise kann sie das gut wegstecken, wahrscheinlich, weil sie mich einfach so sein lässt, wie ich in dem Moment bin, und nicht versucht, mir gute Laune zu machen.
Am nächsten Tag holt Nele mich um die Mittagszeit aus der Klinik ab. Ich bin regelrecht auf der Flucht und kann es kaum erwarten, das Gebäude endlich zu verlassen. Ich bin in Freiheit!
In Bewegung
I ch will zurück ins Leben, will nichts mehr von Kliniken und Ärzten wissen und lasse mich nicht einmal von Och aus dem Konzept bringen.
Wenn der Tod schon hinter mir her ist, dann weiß ich ja, was ich zu tun habe: rennen und schneller sein als er. Nach diesem Prinzip bin ich nun schon seit Jahren auf der Flucht, und letztlich ist es genau das, was mein Leben so besonders macht.
Keine Sekunde dieser so kostbaren Zeit will und kann ich verschwenden. Ich baue mir immer neue Luftschlösser, verfolge scheinbar irrsinnige Träume und halte an Plänen fest, auch wenn sie durchkreuzt werden. Ich stehe immer wieder auf und gehe weiter – egal, wie oft der Tod mir das Bein stellt und mich mit seinem hämischen Grinsen anschaut. Ich sehe nach vorne, und ich gehe vorwärts. Manchmal ist der Kampf anstrengend, ermüdend und fast nicht zu schaffen. Aber wenn ich dann vier Wochen keinen Strom abbekomme, gerät der Defi geradezu in Vergessenheit. Und ich werde, wie Harald meint, übermütig.
Der Übermut findet in diesem Fall jedoch keinen Platz in meinem Leben, denn der Tod ist nicht nur hinter mir her, sondern er lauert auch meinem Hund Pickwick auf.
Pickwick hat leider die Krankheit seines Vaters Merlin geerbt, und so muss ich einmal mehr entscheiden, wann es für Pickwick der richtige Zeitpunkt ist zu gehen.
Ich hasse den Tod zu diesem Zeitpunkt so sehr, dass ich meinen Hund am liebsten auf seiner letzten großen Reise begleiten würde. Ich fühle mich wie eine Mörderin, wie die Komplizin des Todes.
Als Pickwick am 8. November neben seinem Papa Merlin auf Christians Schafweide die letzte Ruhestätte findet, kann ich kaum atmen. Ich selbst habe mein Auskommen mit dem Tod, wenn man das so nennen kann. Aber ein geliebtes Lebewesen zu verlieren bleibt für mich sicher genauso schwierig wie für alle anderen Menschen. Der Tod ist und bleibt ein Spieler, der die Regeln seines Spiels täglich ändert. Man weiß nie, womit man rechnen kann und muss.
Auf der Flucht vor dem Tod machen Harald und ich uns im Januar mit Basti und Blue auf in Richtung Ostsee. Wir haben gemeinsam mit Tina und ihrem Papa Ernst ein Häuschen im dänischen Stil mit Sauna und Whirlpool und einer bestens ausgestatteten Küche gemietet. Zudem gibt es einen eingezäunten Garten, in dem die Hunde nach Lust und Laune herumtollen können. Zum Meer sind es nur ungefähr zweihundert Meter.
Das Meer im Winter hat etwas ganz Besonderes. Die Spaziergänge bei Wind und Wetter an einsamen, endlos
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