Ich uebe das Sterben
rebellieren. Die geballte Ladung meiner Krankheit nimmt mich gefangen.
Gerade, als ich an meinen Tränen zu ertrinken drohe, naht die Rettung: Harald. Ich muss gar nicht viel sagen. Er versteht, was los ist – und vor allem versteht er eines: Auf dieser Wachstation kann ich auf keinen Fall bleiben. Zu viele Patienten, keine Privatsphäre, keine Ruhe. All das kann ich nicht mehr aushalten.
Mein Glück ist, dass in diesem Moment auch der Professor, der mich operiert hat, kommt, um nach mir zu sehen. Er ist sehr erstaunt über meinen Gemütszustand. Aber er kennt meine Krankengeschichte, und als Harald ihm sagt, dass ich diese Wachstation verlassen muss, organisiert er innerhalb einer Viertelstunde meinen Transport auf mein Zimmer.
Dort angekommen, werde ich allmählich wieder ich selbst. Stark, beherrscht, geduldig und immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Genauso werde ich auch zwei Tage später aus der Klinik entlassen.
Nach Rücksprache mit dem Professor mache ich mich einen Tag nach meiner Entlassung bereits auf den Weg nach Ruhpolding.
Harald läuft dort mit unserem gemeinsamen Freund Daniel den sogenannten Transalpine-Run. In acht Tagen geht es von Ruhpolding über Österreich nach Sexten in Südtirol – und zwar quer über die Alpen.
Harald, Daniel und die anderen Läufer zu begleiten ist für mich eine tolle Gelegenheit, alles hinter mir zu lassen.
Meine Freundin Tina ist auch mit von der Partie und hilft mir beim Haarewaschen, Taschentragen und bei allem, was mit einem frisch operierten Hals eben nicht geht. Immerhin sind wir jeden Tag an einem anderen Ort, in einem anderen Hotel, und das würde ich alleine auf gar keinen Fall hinkriegen.
Das Wetter ist super, und wir genießen die Zeit. Harald und Daniel sind zwar jeden Abend müde, aber glücklich.
Am vierten Tag schwillt allerdings mein Hals an, und am fünften Tag ist er trotz Kühlung durch Eisbeutel so geschwollen, dass mich das Sanitäterteam, das den Transalpine-Run begleitet, ins nächstgelegene Krankenhaus nach Bruneck schickt. Tina fährt mich dorthin. Ich bin völlig neben der Spur. Schon wieder Krankenhaus – und das mitten in Südtirol.
In der Notaufnahme des Brunecker Krankenhauses werden Tina und ich freundlich empfangen. Nach einiger Wartezeit komme ich ins Untersuchungszimmer, in dem mir der Arzt unmissverständlich zu verstehen gibt, dass er kein Verständnis dafür hat, dass ich mit einer frischen Wunde verreise.
Aus seiner Sicht ist das natürlich absolut verständlich, aber ich will eben jede Sekunde meines Lebens genießen und alles mitnehmen, was nur geht. Davon hält mich eine Wunde am Hals nicht ab. Schon gar nicht, wenn sich der behandelnde Arzt mit der Reise einverstanden erklärt hat.
Nach einer oberflächlichen Untersuchung des geschwollenen Halses werde ich noch zum Ultraschall geschickt. Der Arzt, der diese Untersuchung durchführt, ist redselig und freundlich. Wir plaudern über meinen Defi und meine arteriovenöse Fistel. Und er stellt eine Diagnose, die mich beruhigt: Es sind nur zwei Muskelfaserrisse. Ja, so ist das, ich freue mich über schlichte Muskelfaserrisse, die keiner weiteren Behandlung als ein wenig Schonung und Kühlung bedürfen.
Das Unternehmen Transalpine-Run kann mit mir und meinem dicken Hals im Gepäck und mit Harald und Daniel als glückliche Finisher beendet werden.
Daheim warten die nächsten beiden Termine in der Universitätsklinik Frankfurt auf mich.
Der Termin in der Hämophilieambulanz ist ziemlich unspektakulär. Ich bekomme nur die Details der Blutuntersuchungen mitgeteilt und einen Notfallausweis ausgehändigt, den ich immer bei mir tragen soll.
Auch beim Kontrolltermin in der Gefäßchirurgischen Ambulanz gibt es glücklicherweise keine unangenehmen Neuigkeiten.
Das könnte für dieses Jahr das Ende meiner Krankenhaus-Odyssee sein, denke ich hoffnungsvoll.
Aber keine drei Wochen später sitze ich wieder im Zug Richtung Franfurt. Ziel: Universitätsklinik. Meine Schwindelanfälle sind zurückgekehrt, und was ich zunächst als Kreislaufprobleme abgetan habe, wird zu einer Realität, die mir ganz und gar nicht gefällt.
Die Untersuchungen bringen eine niederschmetternde Tatsache ans Licht: Die arteriovenöse Fistel in meinem Hals hat sich wieder geöffnet. Die Operation war also umsonst. Es wurde mir von den Ärzten zwar gesagt, dass diese Möglichkeit bestünde. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet ich dem Risiko zum Opfer fallen würde. Sowohl der
Weitere Kostenlose Bücher