Ich und andere uncoole Dinge in New York
herunter und wischt eine dicke Träne zur Seite. Meine Augen brennen. Meine Wange wird heiß, als seine Hand auf ihr liegt. Sein Gesicht ist ebenfalls tränenüberströmt. Wir blicken auf den Berg aus winzigen Zwiebelstücken vor uns und prusten los. Wir müssen immer weiter lachen und können gar nicht mehr aufhören. Immer, wenn wir glauben, dass wir nicht mehr lachen müssen, gluckst einer wieder los. Aber Adam lässt seine Hand ganz schön lang auf meiner Wange liegen.
„Chopin ist immer noch mein Lieblingskomponist“, sage ich, nachdem die komplizierte Suppe einige Minuten später endlich in einem großen Topf auf dem Herd kocht und wir nicht mehr jede Sekunde loslachen müssen.
„Meiner auch“, ruft Adam begeistert, als gäbe es nicht noch acht Millionen weitere Menschen, auf die dies zuträfe.
„Komm, ich zeig’ dir meinen Bösendorfer. Er ist uralt, ich habe ihn von einer Großtante geerbt.“ Dabei spricht er Bösendorfer so merkwürdig aus, dass ich ihm zwar folge, aber erst in seinem Zimmer begreife, dass er die Klaviermarke gemeint hat.
„Spiel du zuerst“, befiehlt Adam.
„Ich kann’s versuchen.“ Ich habe seit Jahren nicht mehr gespielt. Ich setze mich auf den abgeschabten Bürostuhl, der vor dem Klavier steht, lege die Finger auf die Tasten und spiele die ersten Töne eines der letzten Stücke, das ich gespielt habe: Beethovens Sonate Nr. 17, den „Sturm“. Die Tasten sind besonders weich und geben schnell nach. Erstaunlicherweise finden meine Hände den Weg allein, als hätte jeder Finger ein eigenes, kleines Gehirn. Irgendwann wissen sie aber nicht mehr weiter und als ich immer weniger richtige und immer mehr falsche Töne treffe, gebe ich auf. Als ich hochschaue, blicke ich in Adams glänzende Augen.
„Du spielst wunderschön“, sagt er. „Ich kann nicht glauben, dass du so lange nicht geübt hast. Beethoven ist mein zweiter Lieblingskomponist.“ Er steht dicht hinter mir und ich weiß auch nicht, warum mir seine Nähe die ganze Zeit so bewusst ist.
„Quatsch, wirklich? Meiner auch.“
„Das muss ein kosmisches Zeichen sein“, erwidert er und sieht mir nochmal betont tief in die Augen.
Dann schiebt er die Ärmel seines Sweatshirts hoch, als ob er eine anstrengende, körperliche Arbeit verrichten will, legt seine Hände für einen winzigen Augenblick um meine Taille, schiebt mich zur Seite und setzt sich selbst ans Klavier.
„Ich spiele wirklich schlecht. Ich habe bisher nur zehn Unterrichtsstunden gehabt und mein Talent geht gegen Null. Aber ich spiele fast jeden Tag“, sagt er. Sein Körper versteift sich und er starrt leicht nach vorn gebeugt auf das Notenpapier.
Ich kann ihm nicht widersprechen, als er anfängt, die Tasten zu bearbeiten. Nachdem er einige Takte gespielt hat, dreht er sich zu mir um.
„Das ist das Schöne an dir, Judith. Jede Amerikanerin hätte sofort protestiert und mir versichert, dass ich gut spiele.“ Er grinst. „Aber weißt du, ich bin froh, dass ich kein Talent habe. Wenn ich spiele, muss ich mich vollständig auf die Noten und auf meine Finger konzentrieren. Die Musik belegt alle Synapsen in meinem Gehirn. Sie haben endlich mal Pause von den idiotischen Informationen, die sie sonst hin- und herschicken müssen.“
„So habe ich das noch nie betrachtet“, antworte ich. Wahrscheinlich ist es ganz gut, dass er noch in der Ausbildung ist und erst in ein paar Jahren auf Patienten losgelassen wird.
„Ich sag dir, in der Klinik, wo ich ein Praktikum gemacht habe, willst du den Patienten einfach Klavierunterricht verschreiben. Dann hätten sie einen Moment Ruhe vor ihren eigenen durchgeknallten Gedanken.“
Er spielt eine Tonleiter, die sich anhört, als würden seine Finger in Schlaglöchern stecken bleiben. Während wir abwechselnd Klavier gespielt haben, ist Rose aus der Stadt zurückgekommen und hat einen halben Ochsen gewürzt und mariniert, Salat geschnipselt, Knoblauchsauce, eine Schüssel Sauce Hollandaise, Kartoffeln und Maisbrot zubereitet. Das ist ungefähr in der gleichen Zeit passiert, die Adam und ich für die Zubereitung unserer Suppe benötigt haben. Meredith und Rachel kommen mit dicken Einkaufstüten zurück und wir decken den Tisch auf der Terrasse mit orangenen Servietten.
„Mein Dad liebt Barbecue. Er fühlt sich besonders männlich, wenn er am offenen Grill steht. Und meine Mutter liebt Barbecue, weil mein Vater das dämliche Grillen übernimmt. Deshalb ernähren wir uns im Sommer hauptsächlich von
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