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Ich und andere uncoole Dinge in New York

Ich und andere uncoole Dinge in New York

Titel: Ich und andere uncoole Dinge in New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia K. Stein
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Essens wäre dann Wert, gelebt zu werden.“ Adam streicht sich mit dem Handrücken eine schwarze Locke aus der Stirn, wobei die Klinge gefährlich nah an seinem Gesicht vorbeistreicht. Danach schnipselt er konzentriert weiter. „Dann bleibt vielleicht eine Stunde oder weniger pro Tag übrig, wo du am Ziel bist. Der Rest war nur da, um das Ziel zu erreichen, und hat eigentlich zu lange gedauert. Wenn du aber den Weg zum Ziel, also Gemüse schneiden und kochen genießt und versuchst, als Ziel in sich selbst zu sehen, dann lebst du dein Leben viel intensiver.“
    „Also, wenn ich jetzt Gemüseschneiden zum Lebenssinn erkläre, wird es dadurch nicht interessanter.“
    „Es geht doch ums Prinzip! Okay, vielleicht verstehst du es so: Wenn das erste Treffen, das Sich-immer-besser-kennenlernen, das Sich-immer-mehr-vertrauen, das Flirten und der erste Kuss wegfallen und man direkt zusammen ins Bett geht oder heiratet oder was auch immer, fällt der beste Teil der Liebe weg.“ Er sieht mich so durchdringend an, dass ich wegschauen muss. Vielleicht sieht er mich aber auch gar nicht durchdringend an und es kommt mir nur so vor.
    „Ist ja schon gut.“ Ich blicke auf seine schlanken Finger, die geschickt die Karotten zerstückeln. Ich schneide die Karotten jetzt langsamer. Adam ist achtzehn und schon auf dem College. Er studiert Psychologie im Hauptfach. Das erklärt natürlich einiges. Meine Karottenstücke sind definitiv rechteckiger, aber immer noch weit entfernt vom geometrischen Ideal, dafür brauche ich jetzt doppelt so lange.
    „Okay. Du schneidest grob vor, ich mache den Rest“, sagt Adam mit einem Hauch von Resignation in der Stimme, ohne weiter auf den Zen-Gedanken einzugehen. Wenn es ihm nur um den Weg gehen würde, müsste er meine Karottenstücke so nehmen, wie sie sind. Er ist nicht konsequent. „Analysiert man sich nicht ständig gegenseitig in Grund und Boden, wenn man Psychologie studiert?“
    Adam nickt.
    „Stimmt. Das kann nerven. Aber es gibt eine Sache, die zwischen mir und dem Wahnsinn steht: mein Klavier. Die beste Entspannung“, verkündet er mit halb ironischem, halb ernstem Pathos.
    „Ein Klavier?“ Fast schneide ich mir in den Finger.
    „Ich zeig’s dir gleich. Aber erst müssen wir die Paprika und die Zwiebeln fertig schneiden. Spielst du auch?“ Er mustert mich interessiert.
    Ich nicke. „Früher hab’ ich gespielt.“
    „Warum hast du aufgehört?“
    „Ist etwas kompliziert“, weiche ich aus, lasse den Kopf gesenkt und schneide die Zwiebeln noch gründlicher.
    „Erzähl doch mal.“
    Ich seufze. „Ist nicht so spannend.“ Meine Augen beginnen von der Zwiebelsäure zu brennen.
    „Das wird ja immer interessanter. Schieß los.“
    „Ich erzähle es nur, wenn du die Geschichte nicht analysierst.“
    „Großes Psychiater-Ehrenwort“, grinst Adam und hebt seine Hand zum Schwur.
    „Meine Mutter wollte mal eine Pianistin aus mir machen.“
    „Deine Mutter, die scharfe Schnalle von Dave?“
    Ich bohre meinen Finger in seine Rippen. Erstaunlich hart, seine Rippen. „Ich hatte schon mit fünf Unterricht. Mit so einer speziellen Pedal-Anlage, damit meine Kinderbeine das Pedal bedienen konnten. Mein Lehrer hat mir extra Fingersätze für meine kleinen Hände geschrieben. Als ich zwölf war, hat meine Mutter mich dann in ein Musikcamp geschickt, damit ich ganz groß rauskomme. Dort gab’s Übungsräume und ich habe tagelang an so einem Chopin-Impromptu geübt. Einmal saß ich in der Pause vor dem Übungsraum und habe den Jungen im Raum neben mir spielen hören. Er war ein Jahr jünger und hat das gleiche Impromptu geübt. Er kämpfte mit der gleichen Stelle wie ich und hat die Takte endlos wiederholt. Dann wurde er flüssiger und spielte die Töne betont langsam. Mit jeder Wiederholung wurde er ein wenig besser, bis alles perfekt saß – anders als bei mir. Da habe ich kapiert, dass ich ein paar Dinge, egal wie sehr ich sie mir wünsche, egal wie ich mich anstrenge, nie schaffen kann. Danach habe ich aufgehört.“
    Ich erzähle Adam diese Geschichte natürlich in diesem selbstironischen Tonfall, mit dem man solche Geschichten erzählt, als wäre alles eine lustige Anekdote. Damals bin ich monatelang total unglücklich gewesen. Irgendwie hatte ich vorher gedacht, dass man alles lernen könnte.
    „Aber, da muss man doch nicht gleich weinen“, sagt Adam mit gefühlvoller Stimme, als ich fertig bin. Ich sehe ihn verdutzt an. Er streicht mit seinem Finger vorsichtig meine Wange

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