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Ich und andere uncoole Dinge in New York

Ich und andere uncoole Dinge in New York

Titel: Ich und andere uncoole Dinge in New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia K. Stein
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Hobby-Psychologe.“
    „Stopp!“ ruft Meredith. „Es geht los.“
    Mit einem Knall stellt der Russe fünf Wodka-Gläser auf den Tisch. Überraschenderweise glänzen die Gläser poliert. In der Mitte platziert er eine Flasche Wodka ohne Etikett. Es ist erholsam von jemandem bedient zu werden, der nicht übereifrig versichert, wie glücklich er ist, servieren zu dürfen, wie die anderen Kellner in New York, die versuchen, das maximale Trinkgeld herauszuschmeicheln.
    „Was ist denn die häufigste Diagnose heutzutage?“, frage ich Adam, bevor Peter wieder loslegen kann.
    „Schwer zu sagen. New York ist ja nicht Amerika. In New York gibt es vor allem Paranoia in vielen Ausprägungen. Borderline ist auch eine häufige Diagnose.“
    „Was ist das?“
    „Menschen mit einem Borderline-Syndrom verstehen zum Beispiel nicht, dass andere Menschen nicht nur absolut gut oder grenzenlos böse sind, sondern die meisten etwas dazwischen sind. Borderliners leben in der Schwarz-Weiß-Welt der Märchen und sind sehr emotional.“
    „Aber jeder sortiert die Dinge nach Gut und Böse“, schaltet Meredith sich ein. „Hast du noch nie Star Wars gesehen?“
    „Des halb ist diese Diagnose ja so in. Es ist eine schwammige Definition und die Diagnose passt auf viele Leute. Ein Borderliner rastet zum Beispiel aus, weil er feststellt, dass die Person, die er liebt, auch Dinge tut, die ihm nicht gefallen.“
    „Da würde ich auch ausrasten“, sagt Meredith und wirft ihre Haare gekonnt sexy in den Nacken. „Deshalb gehöre ich noch lange nicht in die Klapse. Ich würde Peter zustimmen, dass du noch kein Fachmann bist.“ Sie lächelt Adam zuckersüß an.
    Adam wirft ihr einen vernichtenden Blick zu und ignoriert sie danach. „Wir haben im ersten Semester den Fall von einem Mädchen durchgenommen, das ihren Freund heiraten wollte. Ein paar Tage später hat sie ihn wegen Vergewaltigung bei der Polizei angezeigt, weil sie wegen irgendeiner Kleinigkeit sauer war. Aber es stimmt, manchmal werden Leute als Borderliner diagnostiziert und dabei sind sie bloß hysterisch.“ Er blickt nochmal bedeutungsvoll zu Meredith.
    Dieser Wischiwaschi-Definition zufolge muss Borderline in den USA eine Nationalkrankheit sein. Hier ist alles irgendwie mehr schwarz oder weiß. Aber ich halte mich aus der Geschwister-Diskussion lieber raus.
    „Ist doch super für dich. Du machst später bestimmt einen Riesen-Reibach in New York“, bemerkt Peter mit aufgesetztem Wohlwollen in Richtung Adam. „Und dann diese ganzen durchgeknallten Tanten, die zum Psychiater gehen, weil sie einsam sind und einen Liebhaber suchen. Die kannste dann alle haben.“
    „Ich gebe ihnen deine Nummer“, erwidert Adam mit einem ebenso aufgesetzten Lächeln.
    Die dicke Frau mit den übertrieben schwarz gefärbten Haaren kommt mit einem vollgepackten Tablett aus der Küche und stellt es auf unseren Tisch.
    „Borscht“, sagt sie und zeigt auf die dampfende, rote Suppe. „Nimm.“
    „Es ist ja auch nicht alles eine Disorder “, fährt Adam an mich gewandt fort. „Mensch zu sein, bedeutet ja gerade in diesem grauen, undeutlichen Teil zwischen Gut und Böse zu leben. Das ist das Spannende.“
    „Adam denkt, dass er schon Professor ist“, raunt Meredith mir zu. „Er präsentiert wirres Zeug so überzeugend als bahnbrechende Erkenntnis, dass sogar ich, seine mit allen Wassern gewaschene Schwester, darauf hereinfalle.“
    „Darauf stoßen wir an“, unterbricht Adam sie, wahrscheinlich, um Rachel aufzuschrecken, die ihre Augen geschlossen hat und an Peters Arm lehnt. Das ist mir nur recht. Wir stoßen die dicken kleinen Gläser mit einem dumpfen Klack zusammen, werfen die Köpfe in den Nacken und spülen den Inhalt in einem Zug herunter. Der Wodka hinterlässt eine brennende Spur, als er meine Kehle herunterläuft.
    „Seid ihr sicher, dass dieser Wodka nicht direkt die Leber zersetzt“, bringe ich nach Luft japsend hervor.
    Neben mir röchelt Rachel und Peter schiebt ihr einen Löffel Suppe in den Mund, den sie dankbar herunterschluckt. Er hätte jetzt auch mir den Löffel in den Mund schieben können. Wir essen Borscht und Peter füllt die Gläser nach, so dass sich die Flasche schnell leert. Der Russe dreht die Musik lauter und kommt in plötzlicher Ausgelassenheit klatschend an unseren Tisch. Das Zusammenschlagen seiner fleischigen Hände verursacht knallende, kurze Schüsse. „Tanzt“, befiehlt er. „Ihr seid jung, nicht rumsitzen und essen, tanzen!“ Peter grinst, er hat

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