Ich und andere uncoole Dinge in New York
Es ist Nick, ein Freund von Peter, der ihn unbedingt treffen will.
„Also, ich brauche jetzt niemanden mehr zu treffen“, sage ich ungewohnt direkt.
„Ich auch nicht“, stimmt Peter zu.
Nick ruft nochmal an. Er ist penetrant. Das habe ich schon früher gemerkt.
Peter geht wieder dran. „Okay, aber nur ganz kurz, wir machen‘s ganz kurz“, sagt Peter am Schluss und zieht hilflos die Augenbrauen hoch. „Okay, um 11:30 im Marquee. Ich bin da.“ Er legt auf. „Sorry, Judith, aber ich kann ihm nicht absagen. Du musst nicht mitgehen, wenn du nicht willst. Ich geh nur kurz.“
„Warum kannst du nicht absagen?“ Ich habe wirklich überhaupt gar keine Lust auszugehen.
„Ist kompliziert. Das wird sich auch alles ändern. Aber lass uns jetzt nicht drüber sprechen.“
Ich möchte mit Peter nach Hause und naja, ich will einfach mit ihm auf dem Bett liegen und mit ihm reden und küssen und ihn anfassen. Ganz nüchtern und nicht so todmüde wie sonst. Außerdem will ich einfach für einen Moment den ganzen Mist der letzten Tage vergessen. Aber ich will jetzt nicht direkt wieder in meine CIA-Verhörer-Rolle fallen. Er wird es mir später erzählen.
„Okay. Ich komme mit. Kein Problem. Aber wirklich nur kurz.“
Und so stehen wir zwei Stunden später doch wieder im Marquee. Die Musik dröhnt und der Bass lässt meine Innereien vibrieren. Peter holt uns einen Gin Tonic, aber ich gebe ihm meinen und hole mir stattdessen eine Cola. Ich habe keine Lust, etwas zu trinken. Irgendwann taucht endlich dieser Nick auf.
„Hi, Judith“, sagt er und umarmt mich, als wären wir Freunde. Das stimmt hundertprozentig nicht. Wir sind beide aus Deutschland, mehr nicht. Damit kann man auf verschiedene Art umgehen, wie ich inzwischen gelernt habe: Entweder man rottet sich zusammen oder man ignoriert sich, weil man gerade versucht, unbemerkt seine deutsche Identität abzustreifen. Oder man nutzt aus, dass Amerikaner nicht einschätzen können, was ein anderer Deutscher sofort durchschaut: Jemand, der zu Hause keine Freunde hat, weil er eine unheimliche Nervensäge und ein völliger Loser ist, kann sich hier neu erfinden. Nick ist so ein Typ. Es gibt eigentlich sogar noch eine weitere Sorte, und zwar den verklemmten, unerotischen Typus, der in Deutschland keine Chance bei den Mädels hat. Aber da hier alle nett zu Ausländern sind, jedenfalls wenn sie aus Europa kommen, bekommen die verklemmten Eigenbrötler hier eine bessere Freundin ab, als sie es zu Hause je geschafft hätten. Nun, das gilt vielleicht auch für Frauen und man könnte jetzt sagen, dass auch ich zu Hause wesentlich weniger Liebesdrama produziert habe als hier. Und auch wenn Bescheidenheit eine Tugend sein soll – so eine schlechte Meinung habe ich dann doch nicht von mir selbst, dass ich glaube, dass Adam und Peter nur auf mich hereingefallen sind, weil ich Ausländerin bin. Da glaube ich lieber, dass meine neue, weiterentwickelte Identität, welche rosa Nicki-Jogging-Anzüge weit hinter sich gelassen hat, der Grund für meine neue Popularität ist. Der Abend entwickelt sich eigentlich wie die meisten Abende mit Peter und diese ganze Florence-Sache scheint völlig unwirklich. Nur, dass ich Cola statt Gin Tonic trinke. Peter trinkt Wodkabull. Peter bezahlt alles, küsst mich, sobald er in meine Nähe kommt und streichelt im Vorbeigehen meinen Nacken, dass mir die Beine weich werden. Zwischendurch spricht mit seinen Tausend Bekannten. Manchmal huscht Adams Gesicht durch meine Gedanken, aber das verdränge ich schnell.
Dann geht Peter mit Nick zur Toilette, als wären sie Mädchen. Sonst bequatschen nur Mädchen alles auf der Toilette, keine Ahnung, was Peter eigentlich an Nick findet. Eigentlich behauptet er, genervt von ihm zu sein, aber dann taucht er auf und die beiden ziehen ewig durch die Clubs. Kaum sind die beiden verschwunden, kommt so Typ auf mich zu. Er hat Pausbacken und die typische Banker-Kurzhaarfrisur. Man könnte meinen, dass alle Typen, die auf der Wall Street arbeiten, zum gleichen Frisör gehen. Er i st zu schnell, als dass ich fliehen kann. „Hey, kommst du aus Schweden oder ist das eine doofe Frage?“, fragt er mit einem selbstbewussten Lächeln.
Ich schüttele den Kopf, auch wenn der zweite Teil der Frage ein Nicken verdient. Als ich nach der dritten Frage immer noch keine Gegenfrage stelle, zieht er zum Glück frustriert von dannen. Endlich kommen Peter und Nick wieder. Peters Augen glänzen. Er ist wie immer hellwach. Ich weiß auch
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