Ich und andere uncoole Dinge in New York
Sportler oft krasse Frühaufsteher. Die Kurse im Equinox bei uns um die Ecke fangen schon um 5:30 an, weil die Leute hier vor der Arbeit zum Sport rennen und nicht nachher wie in Deutschland. Ich hole mir bei Starbucks einen schwarzen Kaffee, was ich noch nie gemacht habe, aber ich habe nur noch einen Dollar und achtundneunzig Cents in der Tasche und gehe weiter. Das Knäuel in meinem Bauch ist immer noch da, gleichzeitig bin ich wütend auf Peter. Aber vor allem dämmert mir, dass ich den größten Fehler gemacht habe, den ich jemals gemacht habe. Dass ich ein noch viel schlimmerer Idiot bin, als ich mir je hätte vorstellen können. Dass ich keine beste Freundin mehr habe, dass ich mir den Freund, den ich hatte, nur eingebildet habe und dass ich den wunderbaren Freund, den ich hätte haben können, auf immer vergrault habe. Ich laufe die ziemlich leere 6th Avenue entlang. Ich will auf keinen Fall nach Hause und Rachel oder Benjamin begegnen. Keine Ahnung, wann Rachel heute zurückkommt. Leider werde ich immer müder und ich setze mich eine Weile in ein Starbucks. Zum Glück machen irgendwann die Geschäfte auf und ich zücke meine Notfall-Kreditkarte, renne wie in Trance von Banana Republic zu Anthropologie, zu Ralph Lauren und J. Crew und Gap und Victoria‘s Secret und irgendwann kaufe ich einen überflüssigen Push-up-BH, den ich wahrscheinlich niemals tragen werde, einfach um etwas zu tun. Ich gehe sogar zu Zara und H&M, obwohl ich das ja nun wirklich zu Hause machen kann. Irgendwann ist aber auch der Einkaufsrausch, bei dem ich nicht viel kaufe, aber bedröhnt durch die Geschäfte irre zu Ende und ich laufe zum einzigen Ort, der mir noch einfällt: zum Loft von Dave und meiner Mutter.
Dave öffnet.
„Hello, Judith“, sagt er und blickt auf meine Victoria’s Secret-Tüte. „Did you have some fun shopping?“
„Kann ich heute hier schlafen?“, frage ich.
„Natürlich, alles in Ordnung bei dir?“
„Ja, eigentlich schon“, nicke ich. „Aber ich brauche mal WG-Pause.“
Dave fragt nicht nach, warum ich schon am Nachmittag nach einer Schlafmöglichkeit frage, gibt mir ein paar Decken, zeigt mir die Schlafcouch und geht zurück in sein Atelier. Manchmal sind Künstler, die hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt sind, gar nicht so unpraktisch.
„Du kannst immer bei uns übernachten, Judith“, flötet meine Mutter am nächsten Morgen und verwuschelt dabei Daves Haare. Beide tragen einen Bademantel und schieben sich gegenseitig Croissants in den Mund. Daves Schlafcouch ist überraschend bequem gewesen, aber so ein Getue am Morgen im Bademantel halte ich keinen Tag länger aus.
„Kannst du mir ein Oberteil leihen?“ Mein Shirt von gestern stinkt unappetitlich nach der langen Nacht. Wir sitzen am Frühstückstisch und ich versuche, ein paar Special K mit eiskalter Milch herunterzuwürgen. Die Aussicht, gleich neben Rachel zu sitzen und ihren vorwurfsvollen Blick zu sehen, raubt mir jeden Appetit. Zum Glück arbeitet Adam nicht bei Scirox. Ich weiß nicht, wie ich ihm jemals wieder in die Augen sehen soll. „Aber nicht so eins mit Ausschnitt bis zum Bauchnabel, bitte.“
Meine Mutter sieht mich an, als würde sie nicht kapieren, was ich meine. Dann kommt sie mit einem engen, schwarzen hochgeschlossenen Shirt und einem grünen Seidenhemd mit Wasserfallausschnitt zurück. Das ist der Vorteil von so einer spätpubertierenden Mutter. Sie hat inzwischen ein paar Klamotten, die ich auch gern hätte. Ich nehme das schwarze Shirt, das wahnsinnig weich und dünn ist und ziemlich gut aussieht. Es sieht jedenfalls nicht so aus, als hätte ich mir Klamotten von meiner Mutter geliehen.
Bei Scirox sitze ich als eine der ersten in meinem Cubicle und ducke mich tief hinter die Trennwand. Es ist einfacher, vor Rachel da zu sein, habe ich mir überlegt. Vielleicht hat sie sich ja auch Sorgen gemacht, wo ich bin. Aber nein, das ist natürlich Wunschdenken. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie das Doppeldate, das ohne mich ja kein richtiges Doppel mehr war, verlaufen ist. Ich versuche ein e Mail an Adam zu formulieren. Aber jede Erklärung hört sich unglaublich armselig an. Auf so eine beschränkte Rechtfertigung würde ich auch nicht antworten. Vielleicht rede ich erst einmal mit Rachel. Dann kommt sie endlich und ich luge vorsichtig über die Cubicle-Abtrennung. Ich muss zumindest versuchen, ihr ein bisschen was zu erklären.
„Hallo“, sagt Rachel tatsächlich und setzt sich auf ihren Platz.
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