Ich und andere uncoole Dinge in New York
greift nach meiner Hand und ich lasse sie ihm.
„Judith, ich hatte ein paar Probleme. In der Schule läuft es nicht, in der Summer School auch nur so medium, aber zurück nach Ohio will ich auf keinen Fall. Meine Eltern sind … naja, etwas schwierig. Sie wollen, dass aus mir mal richtig was Großes wird.“ Er macht eine wegwerfende Handbewegung. „Und dann die Schul- und die Studiengebühren … “
Mir fällt auf, dass er eigentlich zum allerersten Mal von sich aus von seinen Eltern spricht. Bisher hat er alle Gespräche über sein Leben zuhause und über die Highschool in New York, wo er normalerweise hingeht, abgewürgt.
„Warum hast du nie etwas gesagt?“, flüstere ich und merke, wie ich weich werde.
„Die Sache mit Florence war total bescheuert, aber … ich war nicht bei mir. Und sie hat es drauf angelegt. Nein, ich will sie nicht beschuldigen, ich bin natürlich schuld“, fügt er hinzu, als er sieht, dass mir „total bescheuert“ als Entschuldigung auf keinen Fall ausreicht. „Judith, wenn ich klar im Kopf gewesen wäre, hätte das niemals passieren können. Das musst du mir glauben.“
„Wie hast du mich gefunden?“
„Ich habe Ben gefragt und er hat mir sein Auto geliehen.“
Ich nicke.
„Ich musste kommen.“ Peter sieht mich flehend an. „Ich wünschte, ich könnte das wieder gut machen. Irgendwie.“
Er meint es wirklich. Ich will es ihm nicht leicht machen. Aber ich merke das Hämmern seines Pulses in meiner Hand, die er fest umklammert hält. Ich finde, man muss verzeihen können. Ich will nicht beim ersten Problem das Handtuch schmeißen. Meine Eltern haben viel zu früh das Handtuch geschmissen. Ich habe mir fest vorgenommen, das anders zu machen. Ich werde kämpfen. Er ist den ganzen Weg von New York in die Einöde gefahren und heult, dann muss er es ernst meinen.
„Judith …“ Er zieht mich am Arm zu sich heran und streicht mit seinen Fingern, die von seinen eigenen Tränen etwas feucht sind, meine Haare zur Seite. Mir wird sofort warm. Mein Körper reagiert wie immer verlässlich auf seine Nähe, auch wenn ich ihm eigentlich eine Ohrfeige geben sollte.
„Komm mit“, sagt Peter und sieht mich so bittend an, als würde sein Leben davon abhängen.
„Du bist so clean, weißt du?“
Ich schüttele den Kopf, weil ich wirklich nicht weiß, was er meint.
„Lass uns zurückfahren.“
Ich zeige auf die Hütte. „Das geht nicht. Schon vergessen? Ich bin auf einem Mitarbeiter-Goodfeel-Wochenende. Da kann ich nicht einfach abhauen.“
„Ich will dich nicht in deiner Ehre kränken, aber ich glaube, die Praktikantinnen sind nicht die wichtigsten Mitarbeiter bei Scirox.“
Da hat er natürlich recht. „Gretchen wird sauer sein.“
„Was soll sie tun? Die Praktikantin feuern?“
Peter hat schon wieder recht. Wir sehen uns einen Moment an, ohne etwas zu sagen.
„Ich muss nur meine Sachen holen“, sage ich dann und laufe schnell los, bevor ich es mir anders überlegen kann.
Kurz später schleiche ich leise zu meiner Schlafhütte. Ich kann nicht sagen, dass ich das harte Bett mit der stinkenden Felldecke vermissen werde. Ich stopfe meine Anziehsachen und die Waschtasche in die Tasche, viel habe ich eh nicht dabei. Die anderen sind in der Meeting-Hütte. Auf ein abgerissenes Stück Papier schreibe ich: „Rachel, musste weg. Schreibe Mail an Gretchen. Erkläre alles später.“
Dann gehe ich wieder nach draußen. Peter steht im Schatten eines Baums. Es ist jetzt einigermaßen dunkel und durch die Fenster der Meeting-Hütte sieht man sanftes, gelbes Licht. Eigentlich ist es total schön hier. Die Mücken sind verschwunden und der Wald riecht nach frischem Moos. Die feuchte Luft ist wie Samt für unsere New-York-geplagten Lungen. Wir gehen schnell die Einfahrt zum Parkplatz herunter. Man hört nur unsere leisen Schritte und das Rascheln der Bäume. Peter hält mich fest umschlungen. Als wir zum Parkplatz gelangen, werden wir plötzlich vom Scheinwerfer eines eintreffenden Autos in gleißendes Licht getaucht. Wir versteinern wie verschreckte Rehe auf der Autobahn. Ich habe jetzt keine Lust und keine Energie, irgendwelche Erklärungen abzugeben oder eine tödliche Krankheit vorzutäuschen, um abhauen zu kommen. Hoffentlich ist das niemand von uns.
Die Fahrertür öffnet sich und aus dem Auto steigt Adam. Durch die Scheibe erkenne ich Amal auf dem Beifahrersitz.
„Hey“, sagt Adam und seine Augen gleiten schnell zwischen Peter und mir hin und her. „Hier ist ja
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