Ich und du Muellers Kuh
Handlung empfindlich gestört! Zwar hatte Manfred solche Störungen in heiterer Gelassenheit hingenommen, waren es doch nicht seine eigenen Kinder, die da brüllten, doch die Taufgesellschaft wurde meist nervös, stopfte dem Kind einen Schnuller in das aufgerissene Mäulchen, wiegte und schaukelte es, bis das kleine Wesen vollends die Fassung verlor. Dieses hier schien friedlich zu schlafen.
Manfred trat ans Taufbecken und winkte die Paten mit dem Täufling heran. Ich ließ mich nach hinten sinken, denn meine Aufmerksamkeit war nicht vonnöten, jetzt würde alles den gewohnten Gang gehen.
Aber, was war das? Sie standen vorne um den Taufstein, als wollten sie ein Photo für’s Familienalbum stellen, unbewegt, mit starrem Blick. Getauft wurde nicht.
Die Kirchgänger streckten die Köpfe. Mir stockte der Atem. Manfred schaute in das Taufbecken, nahm die Brille ab, schaute noch einmal, tauchte seine Hand hinein und zog sie wieder heraus, ungläubig lächelnd. Dann wandte er sich der Gemeinde zu.
»Es ist gut«, sagte er, »wenn uns einmal klar wird, daß man zu einer Taufe Wasser braucht. Ohne Wasser kann ich nicht taufen, also muß ich den Mesner bitten...« Lasewatsch stürzte bereits durch den Seitengang nach vorne. Auch er warf einen Blick in das Becken, steckte die Hand hinterher, stieß einen Schrei des Entsetzens aus und eilte den Weg zurück, den er gekommen. Nun hätte er gleich vom Altarraum aus in die Sakristei gehen können, dann wäre ihm ein erneutes Spießrutenlaufen durch die Gemeinde erspart geblieben, aber er war schon rettungslos verbiestert. Dieser Investiturgottesdienst hatte ihm Übermenschliches abverlangt! Ein leibhaftiger Dekan in der Kirche! Alle vier Nikodemuspfarrer auf einmal und noch zwei fremde dazu! Glockenläuten an ungewohnten Stellen! Die Kirche besetzt bis auf den letzten Platz. Es war zuviel! Es ging über seine Kraft!
Manfred schlug vor, noch einen Vers des Taufliedes zu singen. Die Gemeinde zeigte sich gerne erbötig und blätterte im Gesangbuch. Doch war das Lied schon vorher völlig durchgesungen, welchen Vers, bitte, sollte man singen? Die Orgel hub an. Einige Gemeindeglieder entschieden sich für den ersten Vers, andere für den letzten. So sang denn jeder mit lauter Stimme, um den Nebenmann von der Richtigkeit seiner Verswahl zu überzeugen und ihn aus dem Konzept zu bringen. Von solch mächtigem Gesang erwachte der Täufling und stimmte kräftig mit ein. Mesner Lasewatsch erschien, hochroten Antlitzes, die silberne Taufkanne wie ein Panier vor sich hertragend. Aus der Kanne stieg eine leichte Dampfwolke. »Nehmen sie hier warmes Wasser?« dachte ich verwundert, »bei uns in Weiden waren sie mit kaltem zufrieden. Man sollte die Stadtkinder nicht so verwöhnen!«
Bei Taufen pflegte Lasewatsch vor dem Gottesdienst heißes Wasser aus dem Boiler in der Sakristei in das Taufbecken zu schütten. Während des Gottesdienstes kühlte es ab und ergab dann ein angenehm lauwarmes Taufwasser. Dieser Gewohnheit war er auch jetzt treu geblieben. Er brachte heißes Wasser herbei, uneingedenk der Tatsache, daß es keine Zeit mehr zum Abkühlen hatte. Er schüttete es ins Becken. Manfred winkte wiederum die Paten mit dem brüllenden Säugling heran und senkte die Hand ins Wasser. Schnell wie der Blitz war sie wieder draußen. Er hob sie zum Mund — vermutlich um draufzublasen — blieb dann aber auf halbem Weg mit ihr an der Bibel hängen, bedeutete den Paten, sich wieder auf ihren Stühlen niederzulassen und ging zum Altar. Die Gemeinde verfolgte all diese Geschehnisse mit lebhaftem Interesse.
»Ach, der Arme, jetzt hat er sich verbrannt!« flüsterte der Herr neben mir.
Wellen des Mitgefühls brandeten vor zum Altar, kühlten die brennende Hand, tauchten den Leidenden ein in Liebe und Wohlwollen.
»Glei im erschte Gottesdienscht muß em des passiere«, zischelte die Dame auf meiner anderen Seite, sie beugte sich vertraulich zu mir hinüber, »wisset Se, des isch der neue Herr Pfarrer!«
»Ich weiß es! Ich bin nämlich seine Frau!«
»Ja so ebbes! Jetzt laß’ me gehe! Des het i jetzt net denkt!« Sie sprach Honoratiorenschwäbisch, »des freut mi aber! So, Sie send also die neu Frau Pfarrer. I bin d’Frau Jäckle. Grüß Gott, Frau Pfarrer.«
Wir schüttelten uns die Hand. Manfred, vorne am Altar, blätterte im Gesangbuch. Dann bat er die Gemeinde, das Lied Nummer 152 aufzuschlagen. »Bis wir die sechs Verse gesungen haben«, so meinte er mit verzerrtem Lächeln, »wird das
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