Ich und du Muellers Kuh
Kefir zu trinken. So sehr wir uns auch mühten, der Pilz produzierte schneller, als wir trinken konnten, wir wurden saurer von Tag zu Tag, bis schließlich der Säuregrad eine solche Höhe erreichte, daß wir den Anblick des stoffwechselnden Pilzes nicht länger ertragen konnten. Es traf sich günstig, daß Schwester Gitti gerade an diesem Tag auf Besuch kam. Sie sah den Pilz und liebte ihn, denn sie hatte einen Artikel in der Zeitung gelesen, daß man sich Kefir auch ins Gesicht schmieren könne und dadurch zu noch größerer Schönheit erblühe.
»Ihr Glücklichen!« rief sie, »ihr habt ihn, den ich so lange suche! O hätte ich doch auch einen!«
»Nimm ihn, Gitti!« ich drückte ihr das Glas in die Hand, »du bist meine kleine Schwester, und ich bin froh, wenn ich dir eine Freude machen kann! Sei gut zu ihm und verbrauche ihn gesund!«
»Aber das kann ich doch nicht annehmen! Wirklich, Amei, manchmal bist du richtig nett!«
Strahlend zog sie von dannen, und strahlend ließ ich sie ziehen — uns beiden war geholfen.
Hugo Pratzel war der zweite Renner im Vierergespann der Nikodemuspfarrer. Lang, hager, etwas nach vorne geneigt, Brille auf der Nase, kurze Haare, sauber gescheitelt — ein sportlicher Typ, der die Arbeit in der Gemeinde mächtig vorantrieb, die Kollegen anfeuerte, mehr Einsatz zu wagen, nicht so »lasch« zu sein, das ging an Manfreds Adresse, nicht nur schöne Worte zu machen, damit meinte er Julius Fink, und seine Kinder gefälligst besser zu erziehen, der Pfeil zielte auf Kollege Sigmund Säusele, von dem noch die Rede sein wird.
Auch die Gemeindeglieder hatten einiges zu ertragen, sobald Pfarrer Pratzel die Kanzel betrat. Er brauchte keinen Schemel, sein Oberkörper hing drohend über der Brüstung, seine Pfände ballten sich zu Fäusten, seine Stirn stand in grimmen Falten.
»Ihr Sünder!« rief er, »Ihr eitlen Pharisäer!« Er nannte sie faul und falsch, vollgefressen und geizig..., aber die Kirchgänger nahmen ihm das keineswegs übel, im Gegenteil, sie hörten es gern und waren ihm dankbar. Endlich einmal wagte ein Pfarrer, den Mund aufzutun und dem lieben Nachbarn die Wahrheit zu sagen! Hoffentlich merkte der auch, daß er gemeint war, schlug sich reuevoll an die Brust und versuchte, ein neuer Mensch zu werden!
Dem Schöngeist Julius Fink bot Hugo Pratzel mancherlei Anlaß, den Kopf zu schütteln. In jeder Sitzung kreuzten die beiden Kollegen die Klingen, der eine tat’s mit geistreichen Redewendungen und spitzer Ironie, der andere schlug drein mit kräftigem Manneswort und deftiger Deutlichkeit.
Hugo Pratzel verstand sich besonders gut mit dem mittelalterlichen Teil der Gemeinde. Junge Ehepaare und Eltern fanden bei ihm Verständnis und ein offenes Ohr. Er hielt Seminare über Umweltprobleme und Schulschwierigkeiten und fuhr demonstrativ mit dem Fahrrad durch den Gemeindebezirk, denn er war seiner Zeit weit voraus. Seine kleine Schwäche und große Liebe aber galt dem Fußballsport. Gemeindeglieder, die während der Sportschau oder einem Länderspiel bei ihm anrückten, fanden nur unwilliges Gehör. Er warf sie zwar nicht hinaus, er ließ sich auch nicht verleugnen, aber er seufzte vernehmlich, horchte hinüber zu den Torrufen im Wohnzimmer und griff schließlich in höchster Not zu der Frage, ob der Besucher vielleicht an der Sportschau interessiert sei? Man könne sie zusammen anschauen, sich dabei ein wenig entspannen und hinterher in aller Ruhe miteinander sprechen. Er schaute dabei den Besucher so beschwörend an, daß dieser fast nie ablehnte.
Hugo Pratzel tat viel für den Fußballsport. Nicht, daß er auf dem Spielfeld besonders geglänzt hätte, er spielte nur manchmal auf dem Hof oder bei Gemeindefesten zur Erbauung der Nikodemusleute, aber er hatte unter Mithilfe seiner Frau Eva fast eine ganze Fußballmannschaft ins Leben gerufen. Vier Kinder fehlten ihm noch dazu, doch ertrug er dies mit Fassung und erzog seine sieben in strammer Zucht und sportlicher Gesinnung.
Er aß gern und deftig, und also mußte Julius Fink beim Verzehr von Kefir und Kleiekeksen den durchdringenden Geruch von Sauerkraut und Schweinebraten ertragen und sich fragen, warum er bei seiner schmalen Kost so dick, und Hugo Pratzel bei seinen fetten Mahlzeiten so dünn sein konnte. Er nahm es hin in christlicher Demut und haderte nur selten mit seinem Geschick, indem er sprach: »Entweder es geht nicht mit rechten Dingen zu, oder mein Hormonhaushalt ist nicht in Ordnung.«
Der dritte im Bunde,
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