Ich und du Muellers Kuh
Sofa und strahlte auch nicht gerade, wenn er mich weckte, um über lahme Sitzungsführung und unerträgliche Dauerredner zu schelten.
»Was schimpfst du hier bei mir? Ich kann doch nichts dafür! Hättest du’s lieber denen gesagt!«
»Dann wär’s ja noch länger gegangen. Malchen, irgendwo muß der Mensch sein Herz erleichtern, und du hast schließlich einen schönen, ruhigen Abend gehabt.«
»Einen schönen, ruhigen Abend, genau das wünsche ich mir! Da hocke ich stundenlang da und wenn du endlich kommst, dann tät ich auch gern mein Herz erleichtern oder ein freundliches Wort hören, aber nein! Was tust du, du schimpfst über Dinge, für die ich überhaupt nichts kann!«
»Wozu hat man eine Frau, wenn sie einem nicht zuhört?«
»Wozu hat man einen Mann, wenn er die halbe Nacht unterwegs ist?«
Der Rest des Abends verlief meist unharmonisch.
»Sonntags Lehrer und werktags Pfarrer, das wär’ ein Leben!« so pflegt Bruder Christoph zu sprechen, nachdem er uns erschöpfend darüber aufgeklärt, in welchem Streß er sich gerade befindet, wie ungeheuer hoch sein Blutdruck ist, wie schwer geschädigt sein Herz und was alles ein leitender Kopf in der Industrie heutigentags zu leisten habe.
»So gut wie du möcht’ ich’s auch haben!« er klopft Manfred herablassend auf die Schulter, »dann würde es mir gleich besser gehen.«
»Wenn du weniger rauchen würdest, auch!« bemerkt Manfred und fügt hinzu, »als Pfarrerssohn solltest du eigentlich wissen, was Pfarrer zu tun haben. Hat dein Vater nichts gearbeitet?«
»Der schon!« antwortet Christoph.
»Manche Brüder kann man wirklich nur mit Gottes Hilfe ertragen!« sage ich.
»Manche Schwestern auch!« sagt er.
»Soll ich dir aufzählen, was Manfred alles zu tun hat?«
»Wenn es dir Freude macht, gern. Sehr lange wird es wohl nicht dauern.«
»Er hält Kasualien.«
»Hoffentlich bricht er nicht unter dieser Belastung zusammen! Wie viele Beerdigungen fallen denn an pro Tag und wie viele Hochzeiten und Taufen?«
»Er macht Besuche.«
»Der Arme! Da bekommt er Kaffee und Kuchen und wird hochgeehrt.«
»Von wegen!« jetzt mischt sich Manfred ins Gespräch, »gestern hat mir ein Herr die Tür geöffnet. Ich habe mich vorgestellt und gesagt, daß ich der Pfarrer der Gemeinde bin und einen Besuch machen will, worauf er sich nach hinten wendet und die Treppe hinaufruft: >Oma, für dich<.«
»Peinlich«, Christoph lacht, »sonst noch irgendwelche Verpflichtungen?«
»Ja, Sitzungen und Mitarbeiterbesprechungen noch und noch.«
»Mehr als ich wird er wohl kaum haben«, Christoph seufzt gelangweilt.
»Zwei Nachmittage in der Woche hält er Konfirmandenunterricht von vier bis sieben.«
»Den Unterrichtsstoff kennt er doch auswendig, nachdem er acht Jahre Pfarrer ist.«
»Aber es strengt ihn trotzdem an mit den vielen Kindern in diesem schwierigen Alter. Was meinst du, wie du untergehen würdest!«
»Ah, meine Liebe!« wieder hat er den arroganten Ton in der Stimme, »ah, meine Liebe, da habe ich es wohl mit schwierigeren Leuten zu tun in meiner Fabrik. Vierzehnjährige Kinder, ich bitte dich! Natürlich muß man etwas von Menschenführung verstehen..., aber Kinder sind ja so leicht zu begeistern!«
»Das mußt gerade du sagen, wo du gar keine Kinder hast! Ich möchte mal miterleben, wie du Religionsunterricht hältst! Das gäbe vielleicht ein Affentheater! Denk an Vati!«
Für meinen Vater war der Religionsunterricht eine rechte Plage. Er hatte keine Ahnung von Pädagogik. Die vielen lärmenden Kinder machten ihm Angst. Völlig erschöpft kehrte er von der Schule zurück, ging sofort in sein Zimmer und war eine Zeitlang nicht ansprechbar, nicht für meine Mutter und erst recht nicht für uns Kinder. Mich packte der Zorn, wenn ich ihn so traurig sah, und ich verwünschte die Schüler, die ihn ärgerten. Freilich übersah ich dabei, daß wir in der Schule auch einen Pfarrer als Religionslehrer hatten und daß wir ihn reizten, wann immer dies möglich war und ihm unmißverständlich klar machten, wie wenig uns das interessierte, was er zu bieten hatte.
Eines Tages bat mich mein Vater, ihm die Nachmittagsschule abzunehmen. »Im Kindergottesdienst erzählst du doch auch so gerne biblische Geschichten. Die von David und Goliath kennst du ja, sie ist heute dran. Ich habe so viel zu tun. Meinst du, du schaffst es?«
»Aber ja! Klar! Gerne!«
Mit geschwellter Brust marschierte ich zur Schule, völlig gebrochen kroch ich nach Hause.
»Hamse dich fertig
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