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Ich und du Muellers Kuh

Ich und du Muellers Kuh

Titel: Ich und du Muellers Kuh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei-Angelika Mueller
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Pfarrer Sigmund Säusele, war weder sportlich noch musikalisch, doch spielte er gern auf der Gitarre, und seine vier Kinder bliesen Blockflöte dazu oder sangen. Es war kein schöner Gesang, aber es bereitete ihnen Freude. Sigmund Säusele zeigte in Haltung und Gewand eine gepflegte Lässigkeit. Er trug großkarierte, bunte Hemden oder weite, grobgestrickte Pullover und Cordhosen. Krawatten hielt er sich vom Hals, dafür hingen ihm die braunlockigen Haare bis zum Hemdkragen hinunter. Was vom Gesicht nicht durch den Bart verdeckt war, strahlte Freundlichkeit aus.
    Sigmund Säusele und seine Frau Agathe waren Muster an Toleranz. Sie erzogen ihre Kinder nach den neuesten psychologischen Erkenntnissen und schimpften nie. Warf der vierjährige Oswald die teure Kristallvase hinunter, so daß sie zerbrach, dann sprach Mutter Agathe mit nur wenig erhobener Stimme: »Aber Oswald!« und schloß ihn gleich hinterher liebevoll in die Arme, damit er keinen Schock erleide.
    Manfred traf Sigmund Säusele, als dieser mit seinen vier Kindern und einem Korb voll Porzellan in den Hof
    ging-
    »Was habt ihr vor, Sigmund? Wollt ihr in eurem Hof picknicken?«
    »Nein«, sagte Vater Säusele, »sie brauchen kein Picknick, aber Gelegenheit zur Aggressionsabfuhr.«
    »Zu was, bitte?«
    »Zur Aggressionsabfuhr! Hier im Korb ist unnötiges und kaputtes Geschirr, das dürfen sie jetzt im Hof an die Wand werfen, um ihre Aggressionen loszuwerden.«
    Die Viere strahlten: »Ja, das dürfen wir!«
    Bald darauf hörte man es scheppern.
    Manfred nahm Aufstellung am Flurfenster, um das Schauspiel mitzuerleben. Hugo Pratzels Sieben standen bereits im Hof.
    »Wollt ihr wohl machen, daß ihr hochkommt!« schrie Vater Pratzel zum Fenster hinaus. Nein, sie wollten eigentlich nicht, sie kamen nur ungern. »Gefällt euch das etwa?« fragte er fassungslos, »wollt ihr euch auch zum Narren machen und Porzellan zerschlagen? Bitte, das könnt ihr haben! Eva!!« jetzt brüllte er, »Eva, gib ihnen das Sonntagsgeschirr, damit sie ihre Aggressionen abladen können!«
    »Das wollen wir gar nicht!« grinste Uwe, der Älteste, »wir wollen bloß zugucken...«
    »Ja«, bestätigte Gerd, der Zweite, »weil’s witzig ist...«
    »Und«, meinte Franz, der Dritte hoffnungsfroh, »vielleicht passiert was.«
    »Na, dann geht halt«, brummte Vater Pratzel, »oder wartet, ich komm mit!«
    Und es passierte tatsächlich was! Als die letzte Schüssel zerschlagen war, hatte Tobias, der jüngste Säusele, noch immer nicht alle Aggressionen abgefahren. Er versuchte, seiner Schwester Priszilla, auch Prilli genannt, einen Scherben aus der Hand zu reißen. Sie wollte ihn nicht hergeben, also bekam sie von ihrem Bruder einen derben Nasenstüber, worauf sie zu brüllen und ihre Nase zu bluten anhub. Auch Tobias blutete, denn er hatte sich mit dem Scherben in den Finger geschnitten. Vater Säusele verlor die Nerven.
    »Geh nach oben!« schrie er Tobias an.
    Dem fuhr der ungewohnte Ton in die Beine, er rannte der rettenden Wohnung zu. Sigmund Säusele aber schlug entsetzt die Hände vor’s Gesicht, dann wandte er sich an Hugo Pratzel, der im Kreis seiner Lieben das Schauspiel sichtlich genoß.
    »Warum habe ich das getan?« klagte er. »O, warum mußte ich das Kind so erschrecken?«
    Dann zog er völlig gebrochen mit seinen Sprößlingen von dannen, unfähig, die Scherben einzusammeln. Das taten Pratzels Sieben. Hinterher spielten sie Fußball, und Vater stand im Tor.
    Manfred kam nach Hause und erzählte mir die Geschichte.
    »Vermutlich hätten sie ihre Aggressionen besser ab fahren können, wenn sie das Porzellan auf ihren Vater hätten werfen dürfen und nicht auf die Mauer«, so sagte er, aber ich warnte ihn und sprach:
    »Sag das ja nicht zu Sigmund, sonst erlaubt er es das nächste Mal, und wer muß ihn vertreten, wenn er verwundet ist? Du!«
    Sigmund Säusele also hatte ein Herz für Kinder. Er hielt Kindergottesdienst, betreute die Kindergärten, arrangierte Kinderfeste und wurde heiß geliebt von den Kleinsten der Gemeinde.
    Er predigte mit leiser Stimme, sanft und einschläfernd und verwöhnte die Kirchgänger mit langen Pausen, damit sie Gelegenheit hatten, das Gehörte zu meditieren. Die Gemeinde allerdings fühlte sich eher verunsichert durch diese befremdlichen Bräuche. Doch weil Pfarrer Säusele so freundlich durch seinen Bart hindurch lächelte, nahm man seine Anregung zu meditieren gehorsam auf und versuchte, irgendetwas dergleichen zu tun. Gelang das Meditieren nicht,

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