Ich und du Muellers Kuh
würde es mich erwischen. Diesen Filmen war ich nicht gewachsen.
Als wir das Pfarrhaus betraten, tönte aus Säuseles Wohnung Gitarrenspiel und Kinderlachen.
»Aha, sie sind beim Abendlied«. Der Gesang ging über in Schreien und Lärmen. »Jetzt kommt der Insbettgeh-Kampf. Vor einer Stunde werden sie nicht aufkreuzen.«
Vor Pratzels Wohnungstür gesellten sich Finks zu uns. Sie brauchten nur ein Stockwerk herunterzukommen. Er trug einen Blumenstrauß, sie sieben Packungen Kleiekekse. Pratzels Sieben aßen alles. Auch Finks wirkten nicht eben froh erregt. Wir drückten uns schweigend die Hände und blickten uns ernst, aber gefaßt ins Auge. So etwa mögen sich wackere Krieger ins Auge blicken, wenn sie in die Schlacht marschieren. Zu irgendwelchen Äußerungen blieb uns keine Zeit. Die Wohnungstür wurde aufgerissen, und im Kreis der Seinen begrüßte uns Hugo Pratzel laut und herzlich:
»Kommt herein! Die Suppe steht schon auf dem Tisch. Auf Säuseles warten wir nicht! Wir fangen an!«
Besuch wurde bei Pratzels mit Suppe verwöhnt, und zwar mit immer derselben. Diese Suppe, so hatte mir Frau Eva bei der ersten Einladung errötend gestanden, hätten sie auf ihrer Hochzeitsreise in Südtirol kennengelernt. Es sei eine unerhörte Delikatesse und eine Spezialität dazu. Sie wäre damals unbeschreiblich köstlich gewesen, und darum habe sie sich das Rezept geben lassen und beschlossen, all ihre Gäste fortan ebenfalls in diesen Genuß zu bringen.
Nun mag eine Suppe, die man auf der Hochzeitsreise genießt, im Lauf der Zeit eine gewisse Verklärung erlangen, für gänzlich unbeteiligte Menschen hingegen war sie wenig erfreulich. Von trüb braunlila Färbung schmeckte sie seltsam säuerlich und hinterließ einen bitter-süßen Nachgeschmack auf der Zunge. Sie schien zahllose Ingredienzen zu enthalten, die nur schlecht zusammenpassen wollten, ja, sich eher abstießen und den mutigen Esser immer wieder durch ihre gewagte Kombination erschütterten. Da fanden sich auf demselben Löffel Rosinen und Pilze oder Speck und Pflaumen, saure Gurken und süße Ananas oder gar Oliven und Nüsse. Gewürzt war diese Kreation mit Zimt und Pfeffer, Vanille und Paprika und anderen Spezereien, deren Herkunft im Dunkel blieb. Ich konnte mich schon beim Kampf mit dem ersten T eller des Verdachts nicht erwehren, daß der Koch seinerzeit alle Reste verwendet hatte, deren er habhaft werden konnte, vermeinend, ein jungverheiratetes Paar werde alles mühelos verkraften. Die Suppe, so schien mir, sprach weniger für die Kochkunst jenes Südtirolers, als vielmehr für dessen Welt- und Menschenkenntnis. Tatsächlich hatten die Gaumen der Jungvermählten, betäubt von Liebe und Leidenschaft, die verwegene Spezialität für die köstlichste aller Suppen gehalten. Später hatten sie sich daran gewöhnt, und die Kinder waren damit aufgewachsen. Uns hingegen fehlten die entsprechenden Voraussetzungen. Dennoch mochten wir unsere Gastgeber nicht kränken und blickten dankbar drein, als uns die vollen Teller entgegenschwappten. Es schienen übrigens auch Grießklößchen drin zu sein. Das war mir früher entgangen.
Als Säuseles endlich erschienen, wurden sie von Hugo Pratzel kühl und mit vielsagendem Blick auf die Uhr begrüßt. Sigmund japste vor Anstrengung.
»Ja, ich weiß, wir sind spät dran, aber wir konnten die Kinder doch nicht einfach so lieblos ins Bett drängen!«
»Nein, das konntet ihr natürlich nicht«, knurrte Hugo Pratzel, »aber die Suppe ist inzwischen kalt geworden.« Säuseles seufzten und nahmen gottergeben Platz. Ich glaubte zu ahnen, was sie in diesem Augenblick dachten. Aber sie sagten es nicht, und das sprach für ihr gutes Herz.
Als das Mahl überstanden war, zogen wir ins Wohnzimmer, wo Weingläser und große Teller mit Kuchen bereitstanden. Sessel und Stühle luden zum Sitzen ein, und es wäre ein recht behaglicher Anblick gewesen, hätte nicht mitten im Zimmer drohend der Projektor gestanden und uns aus seiner Linse tückisch angeblinzelt. Die drei Knaben stürzten sich auf die Weinflaschen und begannen, deren Inhalt in alle vier Himmelsrichtungen zu verspritzen. Die kleinen Mädchen trabten mit dem Kuchen daher, und nachdem wir alle von oben bis unten mit Wein und Kuchen versorgt waren, befahl Hugo: »Licht aus!«
Jetzt, nun wußte ich es gewiß, jetzt würde nichts mehr das Martyrium aufhalten. Meine schwache Hoffnung, der Projektor könne vielleicht entzwei sein, die Birne verglüht, der Film gerissen, erwies sich
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