Ich und du Muellers Kuh
immer, wenn der Refrain kam »... Fidiralala, fidiralala, fidiralalalala«, winkte uns Sigmund vergnügt zu und lud ein mitzusingen.
Ich senkte die Augen tief auf meine Handtasche, Manfred brummte unfroh vor sich hin, aber Finks preßten die Lippen aufeinander und ließen keine Zweifel daran aufkommen, daß sie solche Art von Musik zutiefst verabscheuten.
Als die Familie Anstalten machte, die Strophe zum sechsten Mal zu wiederholen, stand Hugo Pratzel auf und sagte laut und vernehmlich: »Sigmund, wir haben Durst!« worauf Vater Säusele erschrocken aufsprang und sich entschuldigte: »Beim Musizieren vergesse ich einfach alles!«
Agathe Säusele erschien mit einer großen Platte belegter Brote, Sigmund trug zwei Flaschen Wein herbei und erläuterte beim Einschenken, der eine sei süß, der andere sauer, nur habe er leider vergessen, welches der süße und welches der saure sei, aber wir würden es sicher herausfinden. Derweil tapste Klein-Prilli hinter dem Pappi her und wischte die Tropfen, die beim Einschenken daneben gegangen waren, fein säuberlich mit dem Nachthemd auf. Oswald hingegen grabschte sich die Tomatenscheiben von den belegten Broten. Die beiden anderen hatten sich der Gitarre bemächtigt und entlockten ihr gräßliche Klänge. Dann riß sich Esther von dem Instrument los und begann, die Kommode zu erklettern.
Hugo Pratzel sah dies alles, und seine Stirn umwölkte sich. Er hielt die Hände fest gefaltet. Offensichtlich juckte es ihn, diesen Kindern an den Kragen zu fahren.
»Nimm den Finger aus der Nase!« knurrte er den kleinen Tobias an. Der schaute ihn ganz verdutzt an und verdrückte sich dann zur Mutter in die Küche.
»Sehen die Brötchen nicht hübsch aus?« fragte Vater Säusele. »Die Kinder haben sie alle selbst beschmiert. Es hat ihnen große Freude gemacht. Sie sind richtige kleine Künstler!«
»Ich mache es lieber selbst«, bemerkte Eva Pratzel, »das ist..., ich meine, es geht schneller.«
»Natürlich geht es schneller«, sagte Sigmund Säusele belehrend, »aber irgendwann müssen sie es ja lernen. Es macht ihnen auch große Freude, wenn sie kreativ werden können. Es stärkt ihr Selbstbewußtsein!«
»Man hat eigentlich nicht den Eindruck, daß eure Kinder an Minderwertigkeitskomplexen leiden!«
Was mußte Maria Fink schon alles erlitten haben, daß sie sich zu einer solchen Bemerkung hinreißen ließ.
Der Brötchenteller ging herum, und wir bedienten uns zurückhaltend. Insbesondere war jedermann bestrebt, ein Brötchen zu erhaschen, das noch nicht von Tobias abgedeckt worden war. Nach und nach verschwanden die Kinder, aber beileibe nicht endgültig. Von Zeit zu Zeit erschienen sie wieder, allein oder in Gruppen, im Nachthemd oder auch ohne, und jedesmal wußten sie, die Eltern an liebgewordene Bräuche und Pflichten zu erinnern. »Mammi, du hast mir meine Geschichte noch nicht vorgelesen!«
»Pappi, du hast mir gesagt, du malst mir ein Haus!«
»Mammi, mir tut der Hals weh!«
Diesmal war es Oswald, und ich kramte aus meiner Tasche ein Hustenbonbon hervor. Er nahm es huldvoll entgegen, verstaute es in seiner Backe und erklärte: »Und jetzt will ich noch’n Tee!«
Im weiteren Verlauf des Abends verlangten Tobias nach einem Säftle, Oswald nach einem Keks und Priszilla zunächst nach einem Märchen und sodann nach einem Bauchwickel. Manchmal steckten sie auch nur den Kopf durch die Tür, um sich in Erinnerung zu bringen, was nun wirklich nicht nötig war. Die Eltern waren pausenlos unterwegs, liefen hierhin und dorthin, um die Wünsche der lieben Kleinen zu erfüllen, und so wollte keine rechte Gemütlichkeit aufkommen.
Hugo Pratzel zumal, der gänzlich andere Vorstellungen von Erziehung hatte, schien sich nur mühsam zu beherrschen. Als Oswald schließlich zum vierten Mal auftauchte und nun wollte, daß man ihm Fieber messe, weil er heiße Ohren habe, nahm ihn Hugo entschlossen beiseite und flüsterte ihm etwas in sein angeblich zu heißes Ohr. Der Knabe erstarrte, dann machte er auf dem Absatz kehrt, verschwand im Kinderzimmer und ließ sich fortan nicht mehr blicken. Auch seine Geschwister blieben unsichtbar. Bei den Eltern rief das zuerst Besorgnis hervor, und sie gingen des öfteren hinaus, um an der Tür zum Kinderzimmer zu horchen. Eine solche Gelegenheit nutzte Julius Fink, um Hugo zu fragen, mit welchem pädagogischen Kniff er den Knaben besänftigt habe.
»Mit dem ältesten der Welt«, knurrte der voller Ingrimm, »ich habe erklärt, wenn er noch ein einziges
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