Ich und du Muellers Kuh
noch rüber in die Eisdiele?«
»Nein, das ist nicht.«
»Warum?«
»Das geht euch nichts an!«
»Gut«, Hansi marschierte der Tür zu, »dann werden wir halt auf dich verzichten. Kommt ihr?«
Wir hatten gerade bestellt, da kam Ferdinand herein. Er setzte sich zu uns, stumm wie ein Fisch. Als ihn die Bedienung fragend anschaute, schüttelte er nur den Kopf.
»Ich spendier dir eines«, sagte Magnus, »weil du so ein Goldschatz bist!«
»Laß mich in Frieden, verdammt noch mal! Ich hab Zahnschmerzen.«
Ferdinands chronische Zahnschmerzen halfen uns eine Zeitlang über seine Eigenheiten hinweg.
»Laßt ihn, denkt an seinen Zahn!« so flüsterten wir uns zu.
Just in der Probe, in der ich das dringende Bedürfnis verspürte, Ferdinand mitsamt seinem Zahn auf den Mond zu schießen, spazierte Ulla Lasewatsch zur Tür herein, Ulla, die Tochter des Mesners.
Nein, Theaterspielen könne und wolle sie nicht, aber sie wäre gern dabei und ob wir nicht irgendeine Verwendung für sie hätten. Die Damen zeigten sich ablehnend, denn Ulla sah aus wie Gustav Adolfs Page höchstpersönlich. Die blonden Haare saßen wie eine Kappe auf dem Köpfchen, in den Augen drohte man zu versinken, so groß waren sie und so blau und erst der Mund...
»Natürlich haben wir eine Verwendung!« riefen Ferdinand und Magnus gleichzeitig, Alexander und Hansi nickten eifrig.
Mit Ulla hatten wir ein wahres Schatzkästlein gewonnen. Sie kannte sämtliche Lichtschalter im Haus. Sie schmeichelte dem Vater Sondergenehmigungen ab. Wir durften nun proben, so lange wir wollten, denn Ulla schloß hinter uns ab. Wir durften in der Teeküche Kaffee kochen, denn Ulla war dabei. Sie konnte frisieren, sie konnte nähen, und sie hatte zu Hause eine Großmutter mit Truhen voll altmodischer Kleider und Hüte.
So übernahm Ulla Lasewatsch den Kostümsektor, und ganz nebenbei heilte sie auch noch Ferdinands chronischen Seelen- und Zahnschmerz. Nun hatte auch er ein weibliches Wesen an seiner Seite. Er blühte auf, er wurde uns gegenüber direkt freundlich, manchmal befolgte er sogar meine Regieanweisungen, besonders wenn ich sie über Ulla laufen ließ.
»Meinst du nicht, Ulla, daß er sich mal setzen sollte?« so flüsterte ich ihr zu. »Ich find’s nicht gut, wenn er dauernd hin- und herläuft...«
»Ferdi«, rief sie, »mir tät’s besser gefallen, wenn du sitzt!«
Bums, schon saß er.
Nach den Proben tranken wir Tee oder Kaffee. Die Mädchen brachten Kuchen und belegte Brote mit. So wuchsen wir zu einer Gemeinschaft zusammen, die zwar im Gemeindehaus erheblich störte durch Lärm und lautes Lachen, doch beschwichtigte Ullas Vater die erbosten Gemeindeglieder mit dem Hinweis, daß dies nur der Laienspielkreis sei, der zu späterer Erbauung ein Stück von unerhörter Schönheit probe, was, wie man sicher verstehe, nicht leise vor sich gehen könne.
Ich allerdings wurde mir meiner einsamen Stellung schmerzlich bewußt. Zwar stand ich nicht allein gegen alle. Sie duldeten mich freundlich als notwendiges Übel, aber im Grunde war ich nicht wichtig. Sie waren völlig mit sich selbst beschäftigt. Man wechselte den Partner, mal schwärmte Hansi Lore an, dann wieder die schwarze Elfi, die fühlte sich gerade von Magnus angezogen, und der fand Katja erstrebenswerter. Sie bebten und haßten, versöhnten und zerstritten sich, und ich stand daneben, fühlte mich uralt und war die Frau Pfarrer.
Wie anders hatte das damals im Sommersemester in Göttingen ausgesehen! Da hatte ich mit dazugehört, hatte auch gelacht und geflirtet und nebenher noch Theater gespielt.
Dieses Sommersemester, mein zweites an der Göttinger juristischen Fakultät, verbrachte ich allein, ohne Manfred. Er war zurückgekehrt in das Stift nach Tübingen. Traurig wandelte ich über die frühlingsgrünen Wälle und sehnte den Schnee herbei, durch den wir zu zweit gestapft waren, warm eingehüllt in unsere junge Liebe.
Nach mehreren Wochen stiller Trauer, erhellt nur durch den Briefträger, der Post aus Tübingen brachte, erhob ich eines Tages meinen Blick und siehe da, er fiel auf das Anschlagbrett der Universität. Dort hing ein Zettel, auf welchem für den Laienspielkreis der Studentengemeinde geworben wurde. Also ging ich am nächsten Abend über den Wall zum Haus der Studentengemeinde. Ich steckte den Kopf durch den Türspalt und schob mich vorsichtig hinterher. Ein Bursche lag auf dem Boden, ein anderer, bärtiger kniete über ihm und lamentierte zum Herzerweichen:
»O Jammer, o
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