Ich vergebe dir - Bucciarelli, E: Ich vergebe dir - Io ti perdono
dabei?«
»Nein«, antwortete Maria Dolores, korrigierte sich aber sofort: »Doch, ja.« Sie kramte in ihrer Tasche und zog die bereits geöffnete Schachtel Philip Morris hervor.
Er starrte darauf und rümpfte die Nase. »Luft, da ist nichts weiter als Luft drin. Aber besser als nichts«, brach den Filter ab und zündete sie sich an.
»Nachdem Loredana verschwunden war, was ist da aus der Band geworden?«, fragte die Kommissarin und legte die Packung auf den Tisch.
»Wir haben eine Weile aufgehört, eine Pause gemacht. Jeder von uns hat sich alleine durchgeschlagen, hat mit anderen gespielt, ist für Kollegen eingesprungen. Irgendwie eben …« Seine Art zu gestikulieren erinnerte noch immer an eine Vergangenheit auf der Bühne.
Man erkennt, ob ein Gesicht, ein Körper, ein Geist früher einmal von Schönheit geprägt war. Die Spuren, die sie hinterlässt, verwischen nur schwer und bleiben weiter haften. So, als ob Zeit und Alter dagegen machtlos wären, sie vollständig zu untergraben. Als ob sie zwischen Lachfältchen, Blicken, der Haltung und den Bewegungen des Körpers weiterhin verweile. So dass man die Falten fast ganz übersieht. Die starren Gelenke, die stumpfer werdenden Haare. Nicht einmal die zahlreichen Furchen an den Ellbogen, in den Achselhöhlen, an den Knien. Das ein oder andere Mal gelten sie sogar als schick, in der Kategorie: Sonstiges. Pluspunkte in Anziehung und Ausstrahlung.
Guio di Maggio sah man seine beträchtliche Anzahl an Jahren an, doch Maria Dolores fühlte sich zu ihm hingezogen aufgrund seiner Erfahrung, seiner Vergangenheit, seinen Erinnerungen und dem Konzentrat an Leben, das er in sich trug.
In einem Wort: Er hatte das gewisse Etwas.
54
Sie hatte keine Sondergenehmigung erhalten, um eigene Ermittlungen durchzuführen. Überhaupt war keinerlei Untersuchung im Gange. Sie hatten sie ganz einfach vorgeladen, weil sie genannt worden war als Person, die Näheres über die Umstände zu berichten wusste. Routine. Und da war sie nun, bei den Carabinieri von Aosta. Der Leiter der Abteilung hatte sich hinter seinem Schreibtisch platziert, war bereit für Fragen und zuzuhören, was sie zu erzählen hatte.
»Don Paolo hatte mich im Präsidium angerufen und damit begonnen, mir etwas zu erzählen.« Maria Dolores saß mit übereinander geschlagenen Beinen vor ihm.
»Wollte er mit Ihnen in Ihrer Funktion als Kommissarin oder als Freundin sprechen?«, fragte der knapp fünfzigjährige Polizeibeamte, während er sie über seine Brille anblickte.
»Weil ich eine Kommissarin bin, die er seit Jahren kennt.« Was nicht wirklich so stimmte, doch man konnte es als Wahrheit gerade noch durchgehen lassen.
»Fahren Sie bitte fort.«
Sie wiederholte die Worte des Priesters, den Beginn seiner Telefonbeichte, die schließlich unterbrochen wurde.
Der Polizeibeamte beschloss, die Sache von einer anderen Seite anzugehen. »Was wissen Sie über den Priester, Frau Kommissarin?«
»Ich kenne ihn seit vielen Jahren, ich verbrachte regelmäßig meine Ferien im Ayas-Tal. Er war schon immer eine sehr zurückhaltende Person, wurde von seinen Gemeindemitgliedern geschätzt, soweit die Bewohner dieser Gegend überhaupt fähig sind, Gefühle gegenüber Menschen oder einer Sache aufzubringen.«
»Wissen Sie, woher der Mann ursprünglich stammte?«
»Nicht wirklich. Aus irgendeinem Dorf in Ligurien, aber Genaueres kann ich Ihnen dazu nicht sagen, ebenso wenig wie über den Grund, warum er hierher versetzt wurde oder gehen wollte.«
»Ein Priester, der gegen das Beichtgeheimnis verstoßen hat. Für mich hört sich das nicht gerade wie eine Bagatelle an, Frau Kommissarin.«
»Das Beichtgeheimnis selbst aber auch nicht gerade«, konterte Maria Dolores unwillkürlich. Und während sie das noch sagte, stellte sie sich insgeheim selbst die Frage: Hättest du in einem so schwerwiegenden Fall wie diesem deine berufliche Schweigepflicht als Psychologin gebrochen?
»Ich frage Sie ganz direkt: Können Sie sich vorstellen, dass er der gesuchte Pädophile ist?«
Nein. Das nicht. Das konnte sich Maria Dolores nicht vorstellen. Nicht einen Moment lang hatte sie das je gedacht. Aber sie war daran gewöhnt, sich Zeit zu lassen, bevor sie antwortete, und sich, wenn auch nur eine Sekunde lang, das vorzustellen, was ihr davor nie auch nur in den Sinn gekommen wäre.
»Ich antworte Ihnen als Psychologin. Ich denke, der Konflikt dieses Mannes bestand in der Frage, ob er sein Gelübde brechen darf oder nicht. Er hatte mich
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