Ich vergebe dir - Bucciarelli, E: Ich vergebe dir - Io ti perdono
mit geringer Schulausbildung, aber überdurchschnittlicher Empathie und Sorgfalt, motiviert und voller Leidenschaft für ihre Arbeit.
Maria Dolores waren sofort seine Arme und Augen aufgefallen. Gleich beim ersten Mal, als sie abgelenkt war und deswegen fast aufeinandergeprallt waren. Sie waren gegeneinander gerannt, hatten sich körperlich berührt, noch bevor sie das erste Mal zusammen in einem Fall um Drogenhandel und Mord ermittelten. Und ihn auch lösten. Gemeinsam.
Von diesem Moment an pflegten sie einen engen Kontakt. Luca Righi hatte ihr SMS oder E-Mails geschickt. Sie hatte sie beantwortet. Zunächst schüchtern, dann immer häufiger zu beruflichen Fragen, die für sie im Bereich des Erlaubten lagen.
Auch sie war heute hier. In Begleitung von Funi und offiziell eingeladen von oberster Stelle. Sie hatten sich schon seit einigen Minuten zwischen den Menschen hindurch erblickt. Aus der Ferne. Die Augen verloren im gegenseitigen Blickkontakt. Bis sie rasch wieder wegsah. Tugendhaft und aufrichtig mochte sie dabei erscheinen. Und gerade diese Schüchternheit hatte Luca Righi berührt. Aber seine Ehre und ein gewisser Mangel an Integrität hatten ihn davon abgehalten, sie zum Mittag- oder Abendessen einzuladen. Sie bei der Hand zu nehmen. Sie zu umarmen. Sie waren durch einen Schützengraben voneinander getrennt. Sandsäcke, Holz und Stacheldraht schützten sie vor jeglicher Gefahr.
Dann schließlich machte er den ersten Schritt. Lud sie auf einen Kaffee ein. Sie sprachen ununterbrochen und ausschließlich über die Arbeit. Doch dann begann die Phase des Zwischen-den-Zeilen-Lesens. Das Ungesagte schlich sich dazwischen. Ein Gedanke, eine Phantasie. Ein Lufthauch erhob sich und strich über die brennende Kerze, die Worte, den Kaffee. Und alles erschien in einem andern Licht. Doch niemand sagte etwas. Niemand tat etwas.
Luca Righi streckte seine Hand aus, um Funi zu begrüßen. Dann suchte er die Nähe der Kommissarin. »Ich freue mich, dass du gekommen bist«, sagte er lächelnd.
»Ich muss gleich wieder weg«, antwortete sie, um von vorneherein alles abzublocken.
»Hören wir uns später?«
Sie nickte, als ob schon der Laut eines zustimmenden Wortes gefährlich sein könnte.
Und Funi beobachtete, sagte nichts. Dachte sich seinen Teil.
53
Guio di Maggio saß an einem Tisch in der Ecke des Lokals La Salumeria della Musica und zupfte an den Saiten seiner Gitarre. Dort, wo einst Wurstwaren verkauft wurden, konnte man nun erstklassige Musik genießen. Erst kürzlich hatte Hauptkommissarin Vergani hier den einzigartigen Enrico Rava spielen hören.
»Guten Abend«, grüßte sie und setzte sich zu ihm an den Tisch.
»… have a little faith in me … möchten Sie was trinken?«, fragte er zwischen zwei Refrainzeilen. »… I swore that we’d get out alive …«
»Danke. Ich kümmere mich schon.« Sie drehte sich um und winkte eine junge Kellnerin herbei.
» You wouldn’t surrender … Hey baby … have a little faith in me …«
»Von wem ist das?«, fragte Maria Dolores, nachdem sie ein Tonic bestellt hatte.
Guio legte sein Instrument beiseite und antwortete: »John Hiatt, ein großer Rock ’n’ Roller, oder besser gesagt: ein großer Rock-Gitarrist«, und nippte abends um sechs bereits an einem Whisky pur.
»Gehörte er auch zu Lolli Campis Lieblingsmusikern?«, wechselte sie zum eigentlichen Thema.
»Nein, sie mochte lieber Jazz … Someday we’ll meet, And you’ll dry all my tears, Then whisper sweet … « Er nahm einen weiteren Schluck. »Billie Holliday, do you know? « Maria Dolores nickte und beantwortete die magnetischen Blicke des einst so großen Musikers mit einem Lächeln.
Musiker und Polizisten übten auf Maria Dolores eine ganz besondere Anziehungskraft aus. Gitarren und Pistolen. Sicher, optisch war er ihr zu ausgemergelt, aber seine Art, sich über Musik auszudrücken, bereitete ihr ein wohliges Gefühl.
» Don’t ever wanna drink again, I just ooh I just need a friend, I’m not gonna spend ten weeks, have everyone think I’m on the mend … Das Mädchen hätte die italienische Amy Winehouse werden können. They tried to make me go to rehab but I said ›no, no, no‹ …«
»Hat sie auch getrunken?«
»Wir hingen alle an der Flasche«, erwiderte er, ohne sein Glas abzusetzen.
»So jung und schon Alkoholikerin?«
»Wie die Mutter«, antwortete er und schaute dabei um sich, als suche er jemanden. »Ich brauche jetzt unbedingt eine Zigarette. Sie haben nicht zufällig eine
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