Ich vergebe dir - Bucciarelli, E: Ich vergebe dir - Io ti perdono
eingenommen war.
62
Im Molly Malone aß man gut und reichlich.
Nach dem Besuch der stadtbekannten Nachtclubs überließ die Mailänder Schickeria das Zentrum vorübergehend illegalen Einwanderern und osteuropäischen Migranten. Mit Shorts und tätowierter Wade im Sommer, engen Hosen und schwarzem Hemd im Herbst.
Die – mehr oder weniger – erwachsenen Sprösslinge aus gutem Hause hingegen strömten in das Hinterland, wo sie die Herzen der Mädchen, die sich im heiratsfähigen Alter befanden, eroberten.
Im Molly, in der Nähe von Varese, verkehrte ein Publikum, das es verstand, jede noch so erstklassige Anwärterin auszustechen. Echte Anwärterinnen, nicht die falschen. Mailands Schönheiten kamen dorthin, um ihre Köder auszuwerfen. Mit falschen Begleitern an ihrer Seite, um nicht den Anschein zu erwecken, sie wären nicht länger im Rennen. Vorübergehende und zufällige Begleiter, temporäre Eroberungen.
Inzwischen konnte man hier alles erbeuten, was das Herz begehrte. Besonders wenn der Jäger männlich, jung und mit einem dicken Geldbeutel gesegnet war. Die ersten beiden Kriterien hielten sich bis zum dreißigsten Lebensjahr auf den Plätzen eins und zwei der Rangliste; dann tauschten die Frauen gern auch mal den ersten mit dem dritten Platz (männlich und dicker Geldbeutel), ohne dem zweiten Kriterium noch besonderes Interesse entgegenzubringen (jung), ebenso wie dem Ehering am Finger. Alles war erlaubt. Solange der wirtschaftliche Status gesichert war: zwanzigjährige Männer mit gleichaltrigen oder mit fünf oder sechs Jahre älteren Lehrmeisterinnen. Dreißigjährige erfahrene Angetrunkene mit zwanzigjährigen Teenagern, die jegliche Strapazen auf sich nahmen, um in irgendeiner x-beliebigen Fernsehshow ihre Schönheit zur Schau zu stellen.
Die über Fünfzigjährigen hingegen besuchten das Molly, um ihre sexuelle Abstinenz im Alkohol zu ertränken und damit zu prahlen – ohne dass ihnen irgendjemand wirklich geglaubt hätte –, die schönste Frau der Welt geheiratet zu haben, um sie dann wegen der inbrünstigen Liebe zu einer mindestens zehn Jahre jüngeren Frau eingetauscht zu haben – die natürlich mit dem Familienleben nicht vereinbar war.
An dieser Stelle kam dann regelmäßig der gleiche Satz: »Ich muss mich meiner Frau wieder annähern, der Kinder zuliebe.« Gefolgt von dem Versprechen, endlich auch sein Äußeres wieder auf Vordermann zu bringen: »Du wirst schon sehen, in ein paar Monaten bin ich wieder in Topform!«
Doch im Augenblick waren sie alle noch kahl und dickbäuchig und hatten einen eher erhöhten Cholesterinspiegel.
Guio spielte an diesem Abend entspannten Jazz, etwas aus dem klassischen Repertoire, mit der Kraft eines gealterten Teenagers. Er eröffnete und schloss den Abend. Dazwischen trat eine Band auf, die melodischen Hardrock spielte.
Für Maria Dolores war der Abend eine lang ersehnte Abwechslung. Sie war nicht allein, wenn auch im Dienst. Keinerlei Intimität, das war die Abmachung gewesen.
Maria Dolores: »Das ist er. Siehst du ihn?«
Luca Righi: »Nicht gerade der Jüngste, würde ich sagen.«
»Wenn du ihn unbedingt auf sein Geburtsjahr reduzieren willst … Hör mal, wie er spielt: Seine Musik ist zeitlos.« Maria Dolores schaute zu der kleinen Bühne, auf der Guio stand und ihr mit unverhohlener Bewunderung ein keineswegs überraschtes Lächeln zuwarf.
»Was willst du eigentlich von diesem Relikt?«, fragte Righi mit einem Funken Eifersucht und in der Absicht, das Terrain ein wenig zu sondieren.
»Er ist der Einzige, der mir über dieses Mädchen etwas sagen kann.«
»Aber du weißt doch nicht mal, ob die Knochen von ihr stammen.«
»Aber auch nicht das Gegenteil. Ein Fall von ungeklärtem Verschwinden bleibt es allemal.« Die Kommissarin setzte sich. Luca Righi nahm den Platz neben ihr ein. Etwas zu nah. »Was hast du deiner Frau eigentlich gesagt?« So konnte sie die Distanz wahren.
»Dass ich bei einem Einsatz bin. Das wäre schon zu viel für sie, wenn sie wüsste, dass ich hier mit dir bin.«
»Warum sagst du das? Zwischen uns ist doch absolut nichts.«
»Ja, wir schlafen nicht miteinander«, entgegnete er und fügte hinzu: »Weiß Michele denn, dass du hier mit mir bist?«
Nicht, dass er es nicht wüsste, er ist ganz einfach nicht da, weit weg, und niemand weiß genau, wann er zurückkommt. Er hat mich nicht danach gefragt , dachte die Kommissarin bei sich. Sie hatte ihm einfach etwas unterschlagen. Maria Dolores antwortete nicht, und Luca
Weitere Kostenlose Bücher